"Beim Militär hatte ich ungewöhnlich viel mit hochgradig psychotischen Menschen zu tun und verbrachte ganze Nächte in ihren Gummizellen", sagt Ronald Laing, der seine Karriere als Psychiater Anfang der 1950er-Jahre in einem Krankenhaus der britischen Armee beginnt. Dabei entwickelt er einen anderen Blick auf psychisch Kranke, als es bei den damals üblichen Diagnoseverfahren der Fall ist.
Produktiver Zweifel
Den Anstoß für seinen anderen Blick sieht Laing in seiner Kindheit. Er wird am 7. Oktober 1927 in Glasgow geboren. Als einziger Sohn strenger und stets besorgter Eltern wächst er isoliert und überbehütet auf. Fantasiereisen in den eigenen Innenraum ersetzen ihm das Spiel mit Gleichaltrigen auf der Straße.
In seinen Erinnerungen "Weisheit, Wahnsinn, Torheit" beschreibt Laing, wie Kontrolle und Bestrafung zu Hause und in der Schule in ihm einen permanenten, produktiven Zweifel anregen. Lebenslang ringt er mit der Vieldeutigkeit der Welt, mit Wahnsinn und Vernunft. Er will verstehen: "Ich war von Neugier getrieben und der Hoffnung, dass ich einen Beitrag dazu leisten kann, menschliches Leid zu lindern."
Wer ist "verrückt"?
Zunächst setzt er auf die Neurologie, die im Gehirn den Sitz der Psyche sieht: "In den Deformierungen des Gehirns würde ich vielleicht die Ursachen für die Deformierung der Seele finden." Schnell ist ihm klar, dass er im Schädel allein keine Antworten findet auf seine Fragen: Was ist der Mensch und was treibt ihn in den Wahnsinn? Stempelt die Gesellschaft psychisch Kranke zu "Verrückten", damit die Mehrheit sich "normal" fühlen kann?
In London lernt Laing die Psychoanalyse kennen, liest Edmund Husserl und Jean-Paul Sartre. Er will verstehen, statt nur zu behandeln. Die üblichen Behandlungsmethoden sind damals Wegsperren, Elektroschocks und Medikamente.
Psychische Erkrankung als Reaktion
Ende 1953 bekommt Laing einen Ruf an die Universität Glasgow. Er wird leitender Arzt im Gartnavel Royal Hospital und wagt sein erstes Experiment. Eine kleine Gruppe in sich gekehrter, chronisch schizophrener Frauen darf den Saal verlassen, in dem mehr als 50 Patienten den ganzen Tag eingesperrt sind.
Sie können ihre Kittel gegen Straßenkleidung eintauschen und in einem hübschen Zimmer lesen, nähen oder zeichnen - statt nur die Wände anzustarren. Nach und nach wachen die Frauen aus ihrer Lethargie auf. Laing begreift auch schwere Psychosen als Reaktionen auf eine krankmachende Umwelt - ohne allerdings die Existenz psychischer Erkrankungen zu leugnen.
Therapeutische Wohngemeinschaft
1960 erscheint sein erstes Buch, "Das geteilte Selbst". Es wird ein Welterfolg. Darin beschreibt er schwere psychische Erkrankungen, insbesondere die Schizophrenie, und erkundet die dahinter liegenden Strukturen. Später versucht er, schizophrene Symptome aus der familiären Kommunikation abzuleiten. In "Familie und Wahnsinn" beschreibt er psychotische Symptome als verzweifeltes Bemühen, "aus eine sinnlosen Situation (...) etwas Sinnvolles zu machen."
1965 gründet Laing einen Verein, der therapeutische Wohngemeinschaften als Alternative zur psychiatrischen Anstalt aufbaut. Im ersten Projekt, Kingsley Hall in London, lebt er selbst ein paar Monate zusammen mit schwer psychisch Kranken. Laing experimentiert auch mit Drogen, um mehr über wahnhafte Zustände zu erfahren. Er wird so zu einem der Begründer der "Anti-Psychiatrie"-Bewegung, die im Zug der Revolte von 1968 entsteht.
Drogen und Alkohol greifen Gesundheit an
Auch wenn die extremen Anfangsprojekte wieder verschwinden, stoßen sie eine grundlegende Reform der Psychiatrie in den 1970er- und 1980er-Jahren an. Für Laing ist der Preis hoch. Drogenexperimente und Alkoholprobleme beeinträchtigen seine Gesundheit. In seinen letzten Jahren wird es still um ihn. Ronald D. Laing stirbt 1989 mit 62 Jahren in St.Tropez nach einem Herzinfarkt.
Autorin des Hörfunkbeitrags: Doris Arp
Redaktion: Frank Zirpins
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 7. Oktober 2022 an Ronald Laing. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
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