17. Juli 1959, Olduvai-Schlucht in Tansania: Eigentlich will Mary Leakey nur Gassi gehen. "Ich ging allein mit meinen Hunden in einen Teil der Schlucht, den ich noch nicht kannte", erzählt sie später. "Plötzlich sah ich einen Knochen, der ungewöhnlich aussah. Ich bürstete ein bisschen Erde weg und entdeckte zwei Zähne."
Es stellt sich heraus: Die britische Archäologin hat den bis dahin ältesten, vollständig erhaltenen Schädel eines menschlichen Vorfahren entdeckt. Sie nennt ihn wegen seines starken Unterkiefers "Nussknacker-Mensch". Ihr Mann, der bekannte Paläoanthropologe Louis Leakey, gibt ihm den Namen "Zinj" - ein altes Wort für Afrika.
Höhlenmalerei als Einstieg
Die Weltsensation hat die Wissenschaft einer Frau zu verdanken, die keinen Schulabschluss hat. Sie wird am 6. Februar 1913 als Mary Nicol in London geboren. Schon in ihrer Kindheit entwickelt sie eine Leidenschaft für Spuren der Vergangenheit. Mit ihrem Vater, einem Landschaftsmaler, ist sie oft in Frankreich. Er zeigt ihr Höhlenmalereien, sie hält diese in präzisen Zeichnungen fest.
Ihren späteren Ehemann lernt sie 1933 bei einem Dinner in Cambridge kennen. Sie wird seine Assistentin und Geliebte. Als die Affäre öffentlich wird, kommt es zum Skandal. Louis Leakey ist nicht nur verheiratet, seine Frau ist auch zum zweiten Mal schwanger. Mary und Louis flüchten sich in die Arbeit - nach Ostafrika, in die Olduvai-Schlucht.
Dynastie aufgebaut
Die Leakeys beweisen die These von Charles Darwin: Die Wiege der Menschheit steht in Afrika. Mary setzt bei den Ausgrabungen auf exakte Methoden, wie sich ein Kollege erinnert: "Sie sagte oft: 'Was glaubst du, wonach du hier gräbst? Doch nicht nach Kartoffeln!'"
Mary zieht in Afrika drei Söhne auf - und begründet mit ihrem Mann eine Dynastie: "Sobald sie größer waren, nahmen wir sie mit. Dann bekamen sie ihre Einführung in die Anthropologie oder Archäologie." Richard Leakey wird der bekannteste ihrer Söhne. Er findet das älteste vollständige erhaltene Skelett eines Vormenschen, der sogenannte Turkana-Junge.
Fußabdrücke in Tansania
Auch nach dem Tod ihres Mannes 1972 forscht Mary weiter in Afrika: "Ich will nirgendwo anders sein, das ist mein Leben, das zu mir passt." 1978 gelingt ihr in Tansania erneut ein großer Fund: Sie gräbt in Laetoli die Fußabdrücke aufrechtlaufender Vormenschen aus. Die Spuren sind 3,6 Millionen Jahre alt.
Mary Leakey stirbt am 9. Dezember 1996 mit 83 Jahren in Nairobi. Ihre Asche wird in der Olduvai-Schlucht verstreut, wie es sich gewünscht hat.
Autor des Hörfunkbeitrags: Ralph Erdenberger
Redaktion: Hildegard Schulte
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 9. Dezember 2021 an Mary Leakey. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
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