Seit den 1980er Jahren führt der Teppich über die 24 Stufen hinauf zum Festival-Palais. Bei den Filmfestspielen in Berlin und Venedig sind die Eingänge zum Premierenkino ebenerdig – in Cannes jedoch steigt man höher und höher. Der ehemalige Festivalleiter Gilles Jacob hat diesen Aufstieg in den Kino-Olymp einmal eine religiöse Metapher genannt.
Antwort auf Venedig
Das Internationale Filmfestival in Cannes versteht sich als französische Antwort auf die Filmfestspiele in Venedig: Festivalgründer Philippe Erlanger will ein Gegengewicht zum faschistisch geprägten Filmfest in Italien schaffen, das 1938 Leni Riefenstahls "Olympia" und einen Film des Mussolini-Sohns Vittorio auszeichnet, statt der von der Jury präferierten Disney-Produktion "Schneewittchen und die sieben Zwerge".
Amerikanische, französische und britische Filmemacher verlassen protestierend die Veranstaltung. So entsteht der Gedanke für ein "Filmfest der freien Welt".
Dieses Filmfest soll ursprünglich im Herbst 1939 starten. Stars wie Gary Cooper, Tyrone Power und Mae West sind auch schon angereist. Als Eröffnungsfilm läuft am 1. September "Der Glöckner von Notre Dame". Es ist der Tag des Überfalls von Nazi-Deutschland auf Polen: Die Festivalpremiere wird abgesagt.
Autorenfilm und Kommerzkino
Erst am 20. September 1946 eröffnen die Franzosen das "Erste Internationale Filmfestival von Cannes". Nur zweimal, 1948 und 1950, fällt der Filmwettbewerb wegen Geldmangels aus. Ab 1952 verlegen die Organisatoren das Filmfest in den Mai: Auch das Festival in Venedig findet im September statt.
In Cannes trifft bis heute Filmkunst auf Kommerz. Rings um das Festival-Palais wird mit Drehbüchern ebenso gehandelt wie mit abgeschlossenen oder halb fertig gestellten Kinostreifen. Im Wettbewerb jedoch laufen vor allem anspruchsvolle Autorenfilme.
Von 2.000 eingereichten Filmen gelangen rund 20 in den Wettbewerb; eine wechselnde Jury vergibt als Hauptpreis die Goldene Palme und Preise für die besten Darsteller und die beste Regie.
Viele Filmlegenden saßen der Cannes-Jury in der Vergangenheit vor, darunter Fritz Lang, Jean Cocteau, Ingrid Bergman, Yves Montand, Sean Penn oder – als erster schwarzer Jurypräsident – 2021 Spike Lee.
Autor des Beitrags: Detlef Wulke
Redaktion: Hildegard Schulte
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 20. September 2021 an das Filmfestival von Cannes. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
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