In den 1960er Jahren fährt die Deutsche Bundesbahn (DB) nur noch hinterher. Immer mehr Menschen leisten sich ein Auto, Fliegen wird erschwinglicher, am Wagenpark der Bahn aber nagt der Zahn der Zeit. "Auf der Schiene", blickt DB-Vorstand Michael Peterson mit Grausen zurück, "war die Zeit stehengeblieben. Taktfahrpläne gab es noch gar nicht, dafür lange Fahrzeiten." In einigen Teilen der Republik stampfen damals sogar noch Dampfloks durchs Land.
Zwar verbindet seit 1958 der stromlinienförmige Trans-Europa-Express (TEE) die Metropolen Westdeutschlands. Auf den übrigen wenigen Fernstrecken verkehren sogenannte Fern-D-Züge, allerdings nur unregelmäßig und mit langen Aufenthalten in den Bahnhöfen.
Mit einem neuen, als revolutionär gefeierten Zug-Konzept will die Bundesbahn 1967 Reisende auf die Schiene locken. "Aufbrechen in andere Räume. In eine andere Dimension. In eine neue Zeit", kündigen Werbespots das bahnbrechende Projekt an.
1. Klasse im Einheitsdesign
Das neue "Spitzenprodukt Intercity" (IC) mit der 200 Km/h schnellen E-Lok 103 verspricht bedeutend mehr Komfort als die alten D-Züge. Im Winterfahrplan 1968 taucht der Intercity erstmals auf, anfangs jedoch nur als neuer Name für sechs Langstreckenverbindungen mit weniger Stopps. So heißt der Fernzug Köln – Hamburg-Altona nun Intercity A, von Hannover nach Frankfurt fährt der Intercity F.
Erst am 26. September 1971 führt die Bundesbahn den Intercity ganz offiziell als Marke ein. Die Züge verkehren alle zwei Stunden, tragen individuelle Namen und ein markantes Design. "Der neue IC hatte etwas, das man heute 'corporate design' nennen würde", so der Verkehrshistoriker Christoph Kopper. "Sie waren einheitlich designt in Dunkelbeige und Dunkelrot. Die Wagen waren klimatisiert und hatten einen durchgehenden 1. Klasse-Komfort und Speisewagen.“
Zwei Welten im Speisewagen
Kunden der 2. Klasse kommen allerdings nicht in den Genuss von "Komfort, Entspannung und Zufriedenheit" (Werbeslogan der Bahn). Als Zielgruppe peilt die Bundesbahn nur Geschäftsreisende und Besserverdienende an – und verrechnet sich kräftig. Trotz hoher Zuschläge rollt der teure Intercity in die roten Zahlen, das Marktsegment ist zu klein. 1979 bekommt der IC deshalb auch eine 2. Klasse und verkehrt nun im Stundentakt: "Jede Stunde – jede Klasse: IC!"
Im Speisewagen prallen plötzlich zwei Welten aufeinander. So konstatiert der damalige Bundesbahnchef Wolfgang Vaerst: "Mit großem Erstaunen habe ich zur Kenntnis nehmen müssen, dass insbesondere die Politiker, die häufiger Bahn fuhren, auf einmal ganz entsetzt waren, dass es da ganz normale Leute aus dem Volke gibt, die in der 2. Klasse auch Intercity fuhren."
Deutsche Bahn weiter in Zugzwang
Sechs Jahre später verliert der gerade in Fahrt gekommene IC schon wieder seine Spitzenposition. 1985 präsentiert die Bahn ein neues Hochgeschwindigkeitskonzept mit dem ICE als superschnellem Flaggschiff. Der Staatskonzern ist erneut in Zugzwang: In Japan pendelt der Shinkansen schon lange mit 300 Km/h zwischen den Großstädten; in Frankreich stellt der TGV, der "train à grande vitesse", immer neue Geschwindigkeitsrekorde auf.
Dem altgedienten IC droht das Abstellgleis. Bald soll ihn der moderne und komfortablere Intercity 2 mit Doppelstockwagen ablösen, kündigt DB-Manager Peterson an. "Unser Ziel ist es, die Fahrgastzahlen im Fernverkehr zu verdoppeln." Dabei helfen soll die 2008 beschlossene Einführung eines Integralen Taktfahrplans, der alle Fern- und Regionalzüge optimal aufeinander abstimmt. Immerhin: Der Entwurf für einen finalen Abschlussbericht zum "Deutschlandtakt" wurde im August 2021 schon vorgelegt.
Autor des Hörfunkbeitrags: Kay Bandermann
Redaktion: Gesa Rünker
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 26. September 2021 an den Start der IC-Fernzüge der Bundesbahn. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
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