Ingeborg Rapoport wird am 2. September 1912 als Ingeborg Syllm in der damaligen deutschen Kolonie Kamerun geboren. Zu ihrer Geburt werden Salutschüsse abgefeuert – sie ist das erste weiße Baby weit und breit.
Welchen Beruf sie einmal ergreifen will, weiß sie schon früh. "Ich glaube, mit vier Jahren! Mein sehnlichster Wunsch durch mein ganzes Leben: Arzt sein."
Flucht vor den Nazis in die USA
Ingeborg Rapoport will sich nie damit abfinden, dass Säuglinge ihren ersten Geburtstag nicht erleben – was die längste Zeit der Menschheitsgeschichte als völlig normal angesehen wird. Der Weg, eine anerkannte Forscherin und Kinderärztin zu werden, ist weit.
Als die nationalsozialistischen Hochschulbehörden ihr wegen ihrer jüdischen Großeltern die Promotion verweigern, drängt die Mutter darauf, dass Ingeborg 1938 zu entfernten Verwandten in die USA flieht.
Neustart mit beinahe 30 Jahren
Aber auch in den USA macht man es Ingeborg Syllm nicht leicht. Ihr Studium wird nicht anerkannt. Mit fast 30 Jahren muss sie noch einmal von vorn anfangen. 1944 lernt sie als inzwischen erfolgreiche, wenn auch noch immer mittellose Kinderärztin am Universitätsklinikum in Cincinnati den Biochemiker Samuel Mitja Rapoport kennen.
Zwei Jahre später wird geheiratet - standesamtlich, denn Mitja glaubt nicht an Gott. Auch er ist Flüchtling: ein ukrainisch-russischer Jude aus Wien. Mediziner, Biochemiker und aktiver Kommunist.
Im Visier der "Kommunisten-Jäger"
Während sich Mitja 1950 für einen Kongress in der Schweiz aufhält, wird er vor Joseph McCarthys "Komitee für unamerikanische Umtriebe" geladen. Ingeborg und Mitja beschließen, dass Mitja nicht mehr in die USA zurückkehren soll.
Verfolgt in den USA - willkommen in der DDR
Ingeborg, gerade zum vierten Mal schwanger, löst in aller Heimlichkeit den Haushalt auf und reist mit den Kindern nach in die Schweiz. Mitja hofft auf eine Professur an der Universität Wien, aber die USA intervenieren.
Der international hochgelobte Wissenschaftler scheint zum Ausgestoßenen zu werden. Bis ihm 1952 die DDR anbietet, an der Ost-Berliner Charité ein Institut für Biochemie neu aufzubauen.
Erster europäischer Lehrstuhl für Neu- und Frühgeborenenmedizin
Auch Ingeborg Rapoport findet an der renommierten Charité zu DDR-Zeiten fast ideale Bedingungen für ihre Forschung vor. Sie gründet den ersten europäischen Lehrstuhl für Neu- und Frühgeborenenmedizin und versucht unermüdlich, Forschung, Behandlung und Pflege besser miteinander zu verzahnen.
Dabei hilft, dass sich die DDR die Senkung der Säuglingssterblichkeit zum politischen Ziel gemacht hat. Ingeborg Rapoport ist überzeugte Sozialistin; in der DDR, ihrer "dritten Heimat" fühlt sie sich angekommen.
Die Angst vor dem Gespenst des Nationalsozialismus
Nach dem Mauerfall haben Ingeborg und Mitja Rapoport Angst, dass nun das deutsche Gespenst des Nationalismus wieder aufersteht. Ihre Tochter Susan Richter erklärt, "das Skandieren 'Wir sind das Volk!' hat sie total ans Dritte Reich erinnert. Das war ganz schlimm."
Genugtuung und Versöhnung
Als Ingeborg Rapoport 2015 endlich ihre Promotionsurkunde ausgehändigt bekommt, ist das damit nicht nur eine späte Genugtuung, sondern ebenso eine Versöhnung mit der Uni Hamburg als einer Institution mit auch westdeutscher Vergangenheit. 2017 stirbt Ingeborg Rapoport im Alter von 104 Jahren.
Autorin des Hörfunkbeitrags: Kerstin Hilt
Redaktion: Frank Zirpins
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 02. September 2022 an die Medizinerin und Forscherin Ingeborg Rapoport. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
ZeitZeichen am 03.09.2022: Vor 50 Jahren: Todestag des Juristen Hans Calmeyer, der zahlreiche Juden vor den Nazis rettete.