Anfang der 2000er-Jahre ist der Reformdruck in Deutschland groß: Das wirtschaftliche Klima ist nachhaltig schlecht, das Konjunktur-Barometer zeigt nach unten, die Arbeitslosenzahlen dagegen steigen auf offiziell rund vier Millionen Menschen stetig an.
Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sieht sich zum Handeln genötigt, zumal auch seine Partei SPD stetig an Zustimmung verliert. Er setzt eine Kommission unter Leitung des damaligen Volkswagen-Managers Peter Hartz ein, die den Arbeitsmarkt reformieren soll.
Am 16. August 2002 legt die "Hartz-Kommission" ihren Bericht vor, der tatsächlich den Sozialstaat umkrempeln soll. Die Arbeitslosenhilfe wird abgeschafft, das ineffiziente Nebeneinander bundeseigener Arbeitsagenturen und der kommunalen Sozialämter beendet. Auch sprachlich geht die Kommission neue Wege: Arbeitslose werden zu Kunden, Sachbearbeiter zu Case-Managern und Arbeitsämter zu Job-Centern.
Motto: "Fördern und Fordern"
Bundeskanzler Schröder will mit der Reform vor allem gegen angeblich drei bis fünf Prozent "Drückeberger" massiv vorgehen, notfalls auch mit Sanktionen:
Arbeitslose müssen jetzt auch Jobs übernehmen, die weder tarifiert noch ortsüblich sind. So soll die Arbeitslosigkeit und insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit innerhalb von drei Jahren halbiert werden.
Doch mit Einführung von "Hartz IV" wird die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer. Die Zahl der "Aufstocker", die ergänzend zu ihrem Lohn "Hartz IV" beantragen müssen, steigt erheblich. Kritiker beklagen eine "Amerikanisierung" des Arbeitsmarktes - Armut trotz Arbeit. "Der wesentliche, durch Hartz IV geschaffene, breite Niedriglohnsektor ist das Haupteinfallstor für Erwerbs-, Familien-Kinder- und später auch Altersarmut", meint der Armutsforscher Christoph Butterwegge.
Ein-Euro-Jobs und Ich-AGs
Die Folgen der Deregulierung des Arbeitsmarktes sind eine Ausweitung von Minijobs und Leiharbeit. "Ich-AGs" sollen den Mut zur Selbständigkeit fördern, sind aber oft nur Ausdruck von Scheinselbständigkeit.
Dennoch war damals auch vom deutschen Jobwunder die Rede. Tatsächlich ist die Massenarbeitslosigkeit hierzulande seit der Hartz-Reform deutlich gesunken. Das bestätigen auch zahlreiche Untersuchungen. Welchen Anteil die einschneidende Sozialreform daran hat, ist bis heute umstritten. Denn viele Betroffene tauchen in der Arbeitslosenstatistik durch die diversen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen gar nicht mehr auf.
Nach "Hartz IV" kommt das Bürgergeld
Nachdem "Hartz IV" beinahe die SPD sowie weite Teile der Gesellschaft fast gesprengt hat, soll nun das Bürgergeld nachhaltige Entlastung und mehr soziale Gerechtigkeit bringen. 20 Jahre nach "Hartz IV" verspricht SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil den Betroffenen künftig mehr Geld und den Abbau von bürokratischen Hürden - und vor allem auch mehr Respekt.
Autorin des Hörfunkbeitrags: Anja Arp
Redaktion: Matti Hesse
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 16. August 2022 an den Bericht der Hartz-Kommission.
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