Die 1980er Jahre. Der Ost-West-Konflikt scheint festgefahren. Die Berliner Mauer symbolisiert den Kalten Krieg. In den USA regiert Ronald Reagan, der sich als Hardliner gibt und über die Mauer hinweg gen Moskau ruft: "Mister Gorbatschow, tear down this wall!"
Seit März 1985 ist Michail Gorbatschow, Jahrgang 1931, Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU). Der neue Machthaber der UdSSR prägt die Begriffe Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umbau, Wandel). Die Menschen in der Sowjetunion erwarten von Gorbatschow allerdings, dass er die Regale bei Bäckern und Metzgern füllt, dass er das Leben etwas leichter macht.
"Wir brauchen Demokratie wie die Luft zum Atmen!"
Michail Gorbatschow und Ronald Reagan
In dieser Atmosphäre blickt die Welt gespannt auf Moskau, als dort am 27. Januar 1987 eine Sitzung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei beginnt. Gorbatschow skizziert dabei seine Pläne zum Umbau von Partei und Gesellschaft. Funktionäre sollten künftig nicht mehr allein von der Führung bestimmt, sondern gewählt werden, sagt er in seiner Rede.
Und in seinem Schlusswort, von dem es öffentlich kein Tondokument gibt, sagt Gorbatschow einen Satz, der sein Land, vor allem aber den Westen elektrisiert: "Wir brauchen Demokratie wie die Luft zum Atmen!"
Historiker: Aufgabe des Machtmonopols war nicht gemeint
Gorbatschow-Biograf Ignaz Lozo: "Gorbatschow hat eine sensationelle Rede gehalten, in welcher er das bestehende System als nicht ausreichend bezeichnete und eine Wahlreform anregte." Der Journalist und Osteuropa-Historiker Lozo schränkt allerdings ein, Gorbatschow habe nicht die westliche Demokratie, also ein Mehrparteiensystem und eine freie Presse im Sinn gehabt. "Also an die Abschaffung des Machtmonopols der KPdSU war nicht gedacht. Nur eine breit aufgefächerte KPdSU, wo die Bürger aus mehreren Kandidaten auswählen durften. Und das war schon eine riesige Herausforderung für die Parteifunktionäre."
Aber Lenin-Anhänger Gorbatschow erkennt in seinen ersten Regierungsjahren, dass das Reich zwischen Brest und Wladiwostok nicht mehr im alten Stil kommunistisch regiert werden kann. Ignaz Lozo: "Als er dann das System verbessern wollte, da merkte er, dass das nicht reicht, sondern dass er es wirklich von Grund auf ändern muss."
Neue Freiheiten
Allerdings beschränkt sich Gorbatschows Programm zunächst mehr auf Worte. Die Menschen in der Sowjetunion vermissen Taten. Eine Anti-Alkohol-Kampagne bringt ihm mehr Spott als Erfolg und die Atomreaktor-Katastrophe von Tschernobyl 1986 lässt er auch zunächst in alter sowjetischer Manier verschweigen.
Gorbatschow im Jahr 1989
Doch unter Gorbatschow kommen konkrete Veränderungen in Gang. In der Sowjetunion genießen vor allem Intellektuelle und Menschen, die mit der Welt in Verbindung stehen, neue Freiheiten. Gorbatschow leitet den Abzug sowjetischer Truppen aus Afghanistan ein. Mit den USA verständigt sich die Sowjetunion auf den Abbau atomarer Mittelstreckenraketen.
Es folgen historische Ereignisse in Gorbatschows Jahren an der Macht: 1989 fällt die Berliner Mauer. 1990 wird Gorbatschow mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Die Sowjetunion ist bald Geschichte - genauso wie die Regierungszeit von Michail Gorbatschow.
Autorin des Hörfunkbeitrags: Irene Dänzer-Vanotti
Redaktion: Gesa Rünker
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 27. Januar 2022 an die Demokratie-Rede von Michail Gorbatschow. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
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