"Hätte ich nicht den Entschluss gefasst, den ich jetzt ausführe, so wär' ich rein zu Grunde gegangen", schreibt Goethe 1816 im ersten Band der "Italienischen Reise" über seinen Aufbruch im Spätsommer 1786. Da ist der einstige Stürmer und Dränger gerade einmal 37 Jahren alt und fühlt sich doch leblos, ausgelaugt und eingeengt.
Die Euphorie über seinen Roman "Die Leiden des jungen Werther", die eine ganze Generation in Erregung versetzt hatte, ist verflogen. Ein neues Erfolgswerk ist nicht in Sicht. Wie auch? Die ihm vom Fürsten übertragenen Ämter fressen seine Energie. In den Schubladen liegen nur halbfertige Manuskripte.
Weg aus der Enge in Weimar
Goethe steckt voller Selbstzweifel. Was ist aus dem Dichter und Denker geworden? So kann es nicht weitergehen, er muss weg aus Weimar. Am besten heimlich, weil Hof und Geliebte ihn wohl kaum ziehen lassen. Wohin er gehen soll, ist indes keine Frage. Schon seit Kindertage zieht es Goethe nach Italien.
Johann Wolfgang von Goethe nutzt einen Kuraufenthalt in Karlsbad, um sich abzusetzen. "Ich warf mich, ganz allein, nur einen Mantelsack und Dachsranzen aufpackend, in eine Post-Chaise", erinnert sich Goethe später an seine Abreise. Um nicht erkannt zu werden, reist er unter falschen Namen.
Reise ins Ungewisse
Seinen Arbeitgeber, Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, hat Goethe grob über die Reisepläne informiert. Immerhin muss der Herzog die Reise finanzieren. Der Freund und Gönner bleibt großzügig: "Die guten Götter mögen ihn begleiten, ich habe ihm gestern geschrieben und ihn gebeten, so lange zu bleiben, als er selber möchte."
Freifrau von Stein ist dagegen genauso wie Friedrich Schiller wenig begeistert von Goethes Abenteuerlust. Was soll`s! Das Verhältnis mit der verheirateten Freundin ist Goethe ohnehin zu eng geworden. Sie habe jede seiner Minen, seine Bewegung kontrolliert und ihn getadelt, erklärt er ihr später einmal.
"Ich kann nun nichts sagen als: Ich bin hier."
Über den Brenner, den Gardasee, Verona, Venedig, Ferrara und die Toskana gelangt Johann Wolfgang von Goethe ans Ziel seiner Sehnsucht: Rom. "Ich kann nun nichts sagen als: Ich bin hier." Tatsächlich blüht der 37-Jährige unter der mediterranen Sonne wieder auf. Er zieht in eine Künstler-WG, schlendert zum Tiber, zum Pantheon und Forum. Überall sieht man ihn zeichnen und malen. Mehr als 800 Skizzen bringt er mit nach Weimar. Zum ersten Mal seit langem fühlt sich Goethe wieder leicht und frei. Die antiken Gebäude, die Freunde, das Licht, die Landschaft, das laute Leben in den Gassen – und die Frauen – holen den Stürmer wieder hervor.
Die Freude am Schreiben ist wieder da
In Italien finden sich Frauen, die gern gewähren, was Frau von Stein nicht zugelassen hatte. Angeblich verliert Goethe erst in Rom, mit 38 Jahren, seine Unschuld. Der Dichter reist weiter nach Neapel und Sizilien. Nun kommen auch die Worte und Reime zurück. Er nimmt sich seine unvollendeten Manuskripte vor: Faust, Egmont und Iphigenie.
Unterdessen wartet man in der Heimat auf ihn. Erst nach knapp zwei Jahren, am 18. Juni 1788, kehrt Johann Wolfgang von Goethe nach Weimar zurück. Charlotte von Stein gibt sich verschnupft und lästert: "Goethe ist sinnlich geworden". Die einstige Seelenfreundin hat nunmehr begriffen, dass die Liebe abgeklungen ist. Goethe hingegen zehrt noch von seiner Reise.
Zurück in Weimar
Der Herzog lässt Goethe fortan mehr Freiheiten für die Kunst. Einzig die Aufsicht über die wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen Weimars vertraut er ihm an. So bleibt nun auch noch Zeit für die Liebe. Mit Christiane Vulpius trifft der Dichter auf eine junge, natürliche Frau, die ihn ohne Umschweife ins Haus und Bett lässt.
Die Weimarer Gesellschaft rümpft die Nase über das nicht standesgemäße Verhältnis. 18 Jahre lang teilt das ungleiche Paar Tisch und Bett, dann nimmt Goethe seinen "Bettschatz" zur Ehefrau. Noch länger dauert es, bis er anhand seiner Tagebücher die "Italienische Reise" verfasst. Zu seinem Sehnsuchtsort Rom wird er allerdings nicht mehr zurückkehren.
Autorin des Hörfunkbeitrags: Monika Buschey
Redaktion: Gesa Rünker
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 18. Juni 2023 an Goethes Reise nach Italien. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
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