Gerhard Seyfried ist nicht nur ein Künstler mit Gesinnung, sondern einer, der für Gleichgesinnte Chiffren der Selbstverständigung zeichnet. Kaum eine linke WG in den 1970er oder 1980er Jahren, die nicht auf ihrer Wohnungstür einen Seyfried-Cartoon kleben hatte: drei knollennasige, ängstlich schwitzende Polizisten, in einer Sprechblase der Hunde-Spruch, der sonst an den Türen von Metzgereien klebt: "Wir müssen leider draußen bleiben".
In diesen WGs lagen auch seine Comics: "Wo soll das alles enden? Kleiner Leitfaden durch die Geschichte der undogmatischen Linken" oder auch "Invasion aus dem Alltag". Von Seyfried gestaltete Wahlplakate - 2002 für Hans-Christian Ströbele, der das erste grüne Direktmandat für den Bundestag errang oder 2017 für die Linke - sind unverkennbar im Stil und aufgeladen mit links-alternativer Haltung.
Zwille, Bulletten und Freakadellen
Seyfried und die Polizei - immer wieder arbeitet er sich an den Ordnungshütern ab. Aber nicht nur die "Bulletten", sondern auch die "Freakadellen" nimmt der Spötter aufs Korn - mit einer dicken Portion Selbstironie. Der Gegenspieler des ewigen Bullen ist "Zwille", der Anarchist in Latzhose, der so bärtig und wuschelhaarig ist, dass sein Gesicht nur aus tiefschwarzen Haaren, Augen, Nase, Mund besteht.
Zum Anarcho-Humor Seyfrieds gehören auch alberne Wortverdrehungen. Wie ein außer Kontrolle geratener Gummiball schlägt sein Wortwitz wilde Haken. Eine ganze Deutschlandkarte mit verballhornten Städtenamen trägt er zusammen: Nagdeburg, Protzdam, Abortmund, Lügenscheid, Obergrausen.
Der Sammler der Abbrüche
Der Lebenslauf von Seyfried ist so bunt wie seine großformatigen Wimmelbilder: Am 15. März 1948 in München geboren, vom Gymnasium geflogen, weil er eine nackte Frau auf einen Heftrand kritzelte, danach Ausbildung zum Industriekaufmann (abgebrochen) und Ausbildung zum Gebrauchsgrafiker.
1967 darf er wegen seiner großen Begabung auch ohne Abitur Malerei und Grafik an der Münchner Akademie für das Graphische Gewerbe studieren. Als er einen Streik gegen die Notstandsgesetze organisiert, fliegt er zwei Jahre später wieder raus.
Historische Romane und Nautisches
Unterdessen tobt in Deutschland die Studentenrevolte der 1968er. Seyfried geht auf linke Entdeckungstour: "Ich hab alles ausprobiert. Ich war kurz bei den Trotzkisten und habe in die DKP reingeschnuppert, war bei den Maoisten, fand das alles schon nach ein, zwei Wochen irgendwie schrecklich und nicht das, was ich wollte." So behält er die Distanz, die seinen Blick für die links-alternative Szene schärft.
Doch er hat weitere Begabungen: Seit Beginn der 2000er Jahre schreibt er historische Romane, die sich meist mit der deutschen Kolonialgeschichte und dem Kaiserreich befassen. Und er arbeitet als Übersetzer, nennt als sein Spezialgebiet "historische, militärische und nautische Terminologie, deutsch-englisch und umgekehrt".
Autor des Hörfunkbeitrags: Wolfgang Meyer
Redaktion: Gesa Rünker
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 15. März 2023 an Gerhard Seyfried. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
ZeitZeichen am 16.03.2023: Vor 115 Jahren: Geburtstag des Schriftstellers René Daumal