"Es gibt kein Recht und es gibt keine Pflicht, Verbrechen zu begehen", sagt der Jurist Fritz Bauer im Juli 1961 bei einem Vortrag in Ulm. Dieser trägt den Titel "Wir und der Unrechtsstaat - von den Nürnberger Gesetzen zum Eichmann-Prozess".
Bauer ist zu diesem Zeitpunkt Generalstaatsanwalt in Hessen. Er hatte den israelischen Geheimdienst darüber informiert, wo sich der Holocaust-Organisator Adolf Eichmann versteckt hielt und so dessen Entführung in Argentinien und den Prozess in Jerusalem ermöglicht. An die deutschen Justizbehörden hatte sich Bauer nicht gewandt - aus Sorge, Eichmann könnte von deutscher Seite gewarnt werden.
Im KZ und im Exil
Der am 16. Juli 1903 in Stuttgart geborene Fritz Bauer engagiert sich schon früh gegen die Nationalsozialisten. Der Sohn jüdischer Eltern ist nicht nur Mitglied der SPD, sondern auch des "Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold", einer überparteilichen Organisation zur Verteidigung der Weimarer Republik.
Kurz nach Adolf Hitlers Machtübernahme wird Bauer aus politischen Gründen aus dem Justizdienst entlassen und für acht Monate in ein Konzentrationslager gesperrt. Anschließend geht er ins Exil. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrt er in die Bundesrepublik zurück und wird zunächst Generalstaatsanwalt am Oberlandesgericht in Braunschweig.
"Nicht hochverratsfähig"
1952 erregt sein Plädoyer im Prozess gegen Otto Ernst Remer internationales Aufsehen. Der Rechtsextremist war an der Niederschlagung des Putsches vom 20. Juli 1944 beteiligt und hatte die Widerstandskämpfer noch in den 1950er-Jahren als Hochverräter bezeichnet. Bauer argumentiert, ein Unrechtsstaat wie das "Dritte Reich" sei "überhaupt nicht hochverratsfähig".
1956 wird Bauer zum hessischen Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main ernannt. Er ist einer der wenigen "unbelasteten" deutschen Spitzen-Juristen der Nachkriegszeit und sieht sich einem Netzwerk von Altnazis in den Behörden gegenüber. Bauer sorgt dafür, dass es in den 1960er-Jahren zu den Frankfurter Auschwitz-Prozessen kommt.
Unpopuläre Rechtsauffassung
Die Sach- und Rechtslage sei "ungewöhnlich einfach", sagt Bauer. Es habe einen Befehl zur Liquidierung der Juden in dem von den Nazis beherrschten Europa gegeben. Mordwerkzeug seien Auschwitz und andere Vernichtungslager gewesen.
Seine Rechtsauffassung kann sich in der bundesdeutschen Rechtssprechung jedoch erst Jahrzehnte später durchsetzen. Bei den Auschwitz-Prozessen werden die meisten Angeklagten lediglich wegen Beihilfe zum Mord belangt.
Zusammenarbeit mit DDR-Staatsanwälten
Während Teile der Politik auf die eintretende Verjährung der Nazi- und Kriegsverbrechen hoffen, wirbt Bauer für Aufklärung. Er will Strukturen aufzeigen, in denen Menschen zu Tätern werden. Und er will zeigen, wie viele mitmachten, ohne die eigene Schuld eingestehen zu wollen. Dabei arbeitet Bauer auch mit Staatsanwälten der DDR zusammen und tauscht mit ihnen Akten aus.
Außerdem setzt sich Bauer für ein liberales Jugendstrafrecht ein. Er will das Sexualstrafrecht reformieren und die Bestrafung der Homosexualität abschaffen. Der Generalstaatsanwalt betont immer wieder auch die Verantwortung der Justiz beim Aufbau einer demokratischen Gesellschaft.
Ablehnung und Morddrohungen
Bauer wird wegen seines Engagements zunehmend isoliert. Er ist mit Ablehnung, Hass und Morddrohungen konfrontiert. "Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, befinde ich mich im feindlichen Ausland."
Am 1. Juli 1968 endet Fritz Bauers Leben abrupt: Der 64-Jährige wird tot in seiner Badewanne gefunden. Die Todesumstände sind unklar. Der Gerichtsmediziner stellt die Überdosis eines Medikaments fest und diagnostiziert Herz- und Kreislaufversagen.
Autor des Hörfunkbeitrags: Thomas Klug
Redaktion: Matti Hesse
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 16. Juli 2023 an Fritz Bauer. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
ZeitZeichen am 17.07.2023: Vor 140 Jahren: Inbetriebnahme der Drachenfelsbahn in Königswinter