Jeden Morgen und jeden Abend wird klar, woher der Brandberg seinen Namen hat: Die tief stehende Sonne lässt die Felsblöcke des Granit-Massivs, das rund 1.800 Meter hoch aus der Namib-Wüste ragt, feuerrot erscheinen. Auf einer Fläche von 600 Quadratkilometern bilden Schluchten und Hochebenen bis heute eine Urlandschaft. In der lokalen Sprache heißt der Berg "Daureb" ("verbrannter Berg").
In der Steinzeit ziehen sich die Menschen hierhin zurück, wenn woanders alles ausgetrocknet ist. In den natürlichen Tümpeln und Zisternen speichert sich nach den seltenen, aber heftigen Regengüssen monatelang das Wasser. Meist unter Felsüberhängen entsteht damals Kunst: Mithilfe zermahlener bunter Steine werden Szenen aus dem Alltag gemalt.
Landvermesser Maack macht eine Entdeckung
In der Kolonialzeit sind in dieser Gegend auch Europäer unterwegs. Einer von ihnen ist der deutsche Landvermesser Reinhard Maack, der 1911 als Soldat nach "Deutsch-Südwest" kommt - kurz nachdem die kaiserliche "Schutztruppe" mit einem Genozid den Widerstand der einheimischen Herero und Nama gebrochen hat.
1915 gerät Maack in britische Kriegsgefangenschaft, flieht und taucht bei deutschen Siedlern unter. Aus Langeweile und Neugier startet er unter falschem Namen eine Expedition zum Brandberg. Am 4. Januar 1918 macht er auf dem Rückweg eine Pause. "Ich sitze unter einem Granitblock in der Tsisab-Schlucht", notiert er später. "Ein unbestimmtes Gefühl ließ mich hineinkriechen in eine Lücke zwischen den Blöcken."
Die "Weiße Dame" ist keine Frau
Dort wartet eine Überraschung auf ihn. "Meine beglückten Augen schauten auf die schönste Felsmalerei, die ich je in Südwest-Afrika angetroffen hatte: Solch vielfarbig gemalte Menschen- und Tierfiguren!" Maack sieht eine Gruppe mit vielen kunstvoll und reich geschmückten Menschen - dynamisch unterwegs von rechts nach links.
Im Mittelpunkt steht eine etwa 40 Zentimeter große Figur, die in vier Farben gemalt ist. Der Oberkörper ist dunkel, Bauch und Unterkörper sind fast weiß. 1948 - 30 Jahre nach Maack - besucht der französische Prähistoriker Henri Breuil den Brandberg und erklärt die Figur zur Frau - vermutlich, weil er die Kopfmaske als lange Haare interpretiert. Er gibt ihr den Namen "Weiße Dame". Doch damit liegt er falsch: Die Figur ist eindeutig mit einem Penis ausgestattet.
Kulturelle Schätz der Menschheit
Heute sehen die meisten Experten in der Darstellung einen männlichen Jäger oder Schamanen. Gemalt haben das berühmteste Felsbild Afrikas vor mehreren tausend Jahren wohl die Vorfahren der San - ein Nomadenvolk, das von den deutschen Kolonialherren abfällig als "Buschmänner" betitelt worden ist. Genetisch sind die San das älteste Volk der Welt.
Ihre mehr als 50.000 Felsbilder an rund 1.000 Stellen im Brandberg gehören zu den wichtigsten kulturellen Schätzen der Menschheit. In der Region des Brandbergs lebt seit Jahrhunderten allerdings eine andere Gruppe: Die Damara, die die Felsbilder auch als ihr kulturelles Erbe betrachten - kritisch beäugt von manchen San-Gruppen, die heute viele hundert Kilometer weiter östlich in der Namib-Wüste leben.
Autor des Hörfunkbeitrags: Thomas Pfaff
Redaktion: David Rother
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 4. Januar 2023 an die Entdeckung der Felszeichnung "Weiße Dame" im Brandberg. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
ZeitZeichen am 05.01.2023: Vor 70 Jahren: Samuel Becketts Theaterstück "Warten auf Godot" wird uraufgeführt