26. März 1938 - Der italienische Physiker Ettore Majorana verschwindet

Der Italiener Ettore Majorana gilt als brillanter Physiker, er wird mit Galileo und Newton verglichen. Und er forscht zur Kernenergie - bis er 1938 spurlos verschwindet.

"Es gibt Wissenschaftler verschiedener Kategorien: Die zweiten und dritten Grades geben ihr Bestes, kommen aber nicht weit. Dann gibt es erstrangige Forscher, die Großes für die Physik leisten. Und es gibt Genies wie Galilei und Newton. Majorana ist einer von denen." Der italienische Physikhistoriker Salvatore Espósito

Das Genie, das sich in Luft auflöste: Ettore Majorana (am 26.03.1938) WDR ZeitZeichen 26.03.2023 14:56 Min. Verfügbar bis 26.03.2099 WDR 5

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Physikalische Probleme auf Zigarettenschachteln gelöst

Das Geburtshaus des Physikers Ettore Majorana | Bildquelle: mauritius images / Andrea sabbadini / Alamy / Alamy Stock Photos

1906 geboren - ein mathematisches Wunderkind - wirkt Ettore Majorana wie ein Außerirdischer unter seinen jungen Physikerkollegen in Rom, den "Jungs von der Via Panisperna". Spielerisch kritzelt das Genie die Lösungen schwierigster physikalischer Probleme auf Zigarettenschachteln und wirft sie, leer geraucht, in den Papierkorb. Publizieren? "Alles nur Kinderkram," spottet er - auch bei seiner bahnbrechenden Theorie der Kräfte im Atomkern.

Das Genie Majorana publiziert nur neun Artikel - die aber werden mit Beethovens Sinfonien verglichen. Majoranas mathematischen Darstellungsmethoden physikalischer Theorien eröffnen Jahre oder Jahrzehnte später anderen fruchtbare, ja sogar nobelpreiswürdige Perspektiven.

Der Blick hinter die physikalischen Rätsel

So wie ein Leonardo da Vinci eine Skulptur nur noch aus dem Marmorblock befreit, sieht Majorana verborgene mathematische Strukturen hinter physikalischen Rätseln. Immer wieder schockiert der "Großinquisitor" nicht nur mit gnadenloser Kritik, sondern auch mit fundamental neuen Ideen. Bestes Beispiel die grundlegende Frage: Wie ist der Atomkern aufgebaut - welche Kraft hält ihn zusammen?

Entwurf eines alternativen Kernmodells

Noch Anfang 1932 glauben die Physiker fälschlicherweise, der Atomkern bestehe aus den zwei bis dato bekannten Elementarteilchen, den leichten, negativ geladenen Elektronen und einer Überzahl viel schwererer, elektrisch positiv geladener Protonen. Dass die Elektronen im Kern experimentellen Fakten zuwiderlaufen, ignorieren sie.

Ettore Majorana nimmt den Widerspruch ernst. Allein wie immer entwirft der kritische Kopf ein alternatives Kernmodell: Neben den positiven Protonen - so seine Voraussage - sollte es gleich schwere, aber elektrisch neutrale Partikel geben, die Neutronen. Er nennt sie noch "neutrale Protonen". Als er damit eine Theorie des Atomkerns formuliert, erkennt der 26-Jährige, wie die gesuchte "Starke Kernkraft" wirkt.

Vier Jahre in selbstgewählter Einsamkeit

Ettore Majorana mit seinen Schwestern Maria und Rosina im Urlaub, 1932 | Bildquelle: akg-images / Mondadori Portfolio

Und dann verschwindet Ettore Majorana 1933 für vier Jahre in seinem Zimmer, bewirbt sich anschließend urplötzlich um eine Professur, wird außer der Reihe an die Universität Neapel berufen, und taucht nur Monate später endgültig unter.

Ein Abschiedsbrief - oder auch nicht

Am 25. März 1938 geht Majorana vom Hotel zur Universität, übergibt einer seiner Studentinnen kommentarlos ein Paket Vorlesungsunterlagen und besteigt das Postschiff von Neapel nach Palermo. Seinem Chef Antonio Carrelli hinterlässt er einen Abschiedsbrief, dem jedoch tags darauf ein Telegramm aus Palermo entgegenwirkt:

"Lieber Carelli, das Meer hat mich abgewiesen. Ich werde morgen ins Hotel zurückkehren. Für Einzelheiten stehe ich Dir zur Verfügung.." Ettore Majorana

Rückzug als moralisches Statement?

Sein letztes Lebenszeichen. Die italienische Polizei legt das Drama rasch zu den Akten: Selbstmord durch Ertrinken. Ettores katholische Familie kann das nicht glauben. Sie sucht in Klöstern, erbittet Unterstützung vom Vatikan und sogar vom Duce Benito Mussolini. Ettore bleibt verschwunden.

Der italienische Autor Leonardo Sciascia deutet 1975 während der Anti-Atomkraftbewegung, "Das Verschwinden des Ettore Majorana" - so sein Buchtitel - als moralisches Statement. Majorana habe dank seiner visionären Physikbegabung Uranspaltung und Atombombe vorausgesehen und sich deshalb der Welt entzogen.

Letztlich ist Majoranas Verschwinden bis heute nicht geklärt - ähnlich wie seine Theorie zum "Majorana-Neutrino". Ein Teilchen, das sein eigenes Anti-Teilchen ist: Das wäre möglicherweise ein Schlüssel zum Verständnis des Universums und zur Synthese von Relativitätstheorie und Quantenphysik - nur bleibt diese von Majorana errechnete Teilchenwirkung genauso im Dunkeln wie Teile seines Lebens und wie sein Verschwinden.

Autor des Hörfunkbeitrags: Wolfgang Burgmer
Redaktion: David Rother

Programmtipps:

ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 26. März 2023 an den Physiker Ettore Majorana. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.

ZeitZeichen am 27.03.2023: Vor 15 Jahren: Todestag der Widerstandskämpferin Ina Ender.