Schon im 17. Jahrhundert finden Bauern auf ihren Feldern in der Lüneburger Heide immer wieder eine zähflüssige, schwarze Pampe. Sie nennen es "Teerkuhlen". Anfang des 19. Jahrhunderts lösen Landwirte das Öl aus der Erde und verkaufen es als Asphaltmaterial, als Schmierstoff und sogar als "Heilmittel" bis nach Hamburg. Die Vermarktung der schwarzen Pampe ist bald schon lukrativer als Ackerbau und Viehzucht.
Auf der Suche nach Braunkohle
Auch der Geologe Christian Konrad Hunäus hört von den Teerkuhlen in Wietze. Er soll im Auftrag des Königreichs Hannover nach Braunkohle in der Lüneburger Heide suchen. Der Brennstoff wird mit der beginnenden Industrialisierung immer begehrter.
Wo Öl ist, könnte Kohle sein
Seinerzeit geht man noch davon aus, dass Öl durch die unterirdischen Glühungen der fossilen Kohlenlager entsteht. Wo Öl aus der Erde austritt, müsste demzufolge auch Kohle sein. Dem angereisten Professor Hunäus scheint daher eine Tiefenbohrung in Wietze vielversprechend.
Der älteste Bericht dieser historischen Bohrung beschreibt, was wohl am 24. April 1858 am Bohrloch passiert ist:
Enttäuschung über Erdölvorkommen
Es dauert noch über ein Jahr, bis die Arbeiter endlich etwas zutage fördern: Doch statt der erhofften Braunkohle sprudelt "nur" Erdöl. Die Enttäuschung ist groß. Noch ahnt niemand, dass die schwarze, klebrige Masse Menschen und Staaten unvorstellbaren Reichtum bringen und der Kampf um das "schwarze Gold" einmal Kriege entfachen wird.
Nach Kenntnis von Hunäus sind die Verwendungsmöglichkeiten für Öl recht begrenzt und so zieht der Geologe mit seiner Mannschaft auf der Suche nach lukrativeren Bodenschätzen weiter. Zur gleichen Zeit sieht die Lage in den USA schon anders aus: Dort löst die erfolgreiche Bohrung nach Erdöl von Edwin Drake im August 1859 ein regelrechtes Ölfieber aus.
Ölboom in den USA
Auf der anderen Seite des Atlantiks sorgt das aus Öl hergestellte Petroleum für die Beleuchtung der amerikanischen Haushalte. Ein Jahr nach Drakes erfolgreicher Bohrung gibt es in Pennsylvania bereits 2.000 Bohrlöcher. Zudem treibt Erdöl die Industrialisierung weiter an, das Auto lässt die Nachfrage nach Mineralöl zusätzlich steigen.
Das Auto treibt die Ölsuche an
So wächst auch im Deutschen Kaiserreich allmählich der Wunsch nach eigenen Quellen. Nun wird das kleine Wietze in der Lüneburger Heide mit seinen Teerkuhlen wieder interessant. Tatsächlich findet der Bohrmeister Friedrich Hasenbein 1899 reichlich Öl auf einem Feld in Wietze – und entfacht einen Ölrausch in der Lüneburger Heide.
Reiche Landwirte in Wietze
Landwirte können jetzt ihre Felder zu Höchstpreisen an Ölfirmen verpachten. Das kleine Wietze avanciert zum "Klein-Texas" in der Heide. Die Quellen unter der Lüneburger Heide liefern zeitweise 80 Prozent des deutschen Bedarfs an Rohöl.
Mit den Bohrungen ist auch das beschauliche Leben vorbei. Tausenden Arbeiter strömen in die Heide. Die Einwohner beklagen sich über Einbrüche, Schießereien und Sittlichkeitsverbrechen. Zudem leidet die Umwelt: Öl läuft auch in die Gewässer und bei Überschwemmungen werden die Felder vergiftet.
Dichter Hermann Löns hält 1910 seine Sorgen um seine Heimat in dem Gedicht "Der Bohrturm" fest.
Heide-Öl verliert seine Wettbewerbsfähigkeit
1909 erreicht die Produktion ihren Höhepunkt. Dann finden sich anderswo größere Vorkommen, die einfacher zu fördern sind. Heide-Öl verliert seine Wettbewerbsfähigkeit mit den Quellen in der Nordsee, in den USA, Südamerika und am Persischen Golf. In Wietze wird die Förderung 1963 eingestellt. Fördertürme kann man dort allerdings noch heute besichtigen – im Deutschen Erdölmuseum.
Autor des Hörfunkbeitrags: Kay Bandermann
Redaktion: Matti Hesse
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 24. April 2023 an die erste erfolgreiche Erdölbohrung. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
ZeitZeichen am 25.04.2023: Vor 40 Jahren: Der "Stern" gibt die Veröffentlichung der Hitler-Tagebücher bekannt