Vor rund 2.300 Jahren entsteht unter den griechischen Ptolemäern in der ägyptischen Metropole Alexandria die wichtigste Bibliothek der Welt. Alles verfügbare Wissen der Antike wird hier auf rund 700.000 Papyrus Schriftrollen gesammelt.
Doch 300 Jahre später, im Jahr 49 oder 48 vor Christus, wird die Bibliothek durch einen Brand vollständig zerstört. Schon in der Antike empfindet man dies als "Verlust im kollektiven Gedächtnis."
Futuristische Wiedergeburt eines antiken Mythos
Rund 2.000 Jahre später wird im Jahr 2002 an der Küste Alexandrias ein spektakulärer Neubau der "Bibliotheca Alexandrina" eröffnet. Wie eine aufsteigende Welle gleitet schräg aus dem Wasser das glitzernde kreisrunde Glasdach in die Höhe, das an Land auf einer hochaufragenden grauen Granitwand ruht.
Den Mythos der Geschichte des antiken Vorgängers greift das norwegische Architektenteam Snøhetta in seinem futuristischen Entwurf auf.
Unter dem schrägen Glasdach befindet sich der wohl größte Lesesaal der Welt, 20.000 Quadratmeter, in dem kaskadenartig auf sieben Ebenen rund 2.400 Arbeitsplätze verteilt sind.
Handelsstadt mit einem Weltwunder
Seit über 2.300 Jahren lebt die ägyptische Millionenmetropole Alexandria vom Ruhm ihres Gründers und Namensgebers Alexanders des Großen.
Wie damals ist sie eine quirlige, überfüllte Handelsstadt mit einem berühmten Hafen am Mittelmeer, an dessen Einfahrt eines der sieben Weltwunder stand: der Leuchtturm von Pharos.
Prestige durch intellektuelle Meinungsführerschaft
Als Alexander der Große überraschend früh im Alter von 33 Jahren stirbt, streiten seine Generäle um das Erbe. Einer von ihnen, der Makedone Ptolemaios I., sichert sich um 300 v. Chr. das reiche Ägypten.
Im Konkurrenzkampf der Nachfolgereiche Alexanders will Ptolemaios offensichtlich nicht nur eine politisch führende Rolle spielen, sondern auch Prestige durch intellektuelle Meinungsführerschaft gewinnen. Und beides trägt rasch dazu bei, Alexandria zum neuen Zentrum der griechischen Welt zu machen.
Think Tank der Antike
Ptolemaios lockt die größten Gelehrten seiner Zeit nach Ägypten und gründet eine Art Think Tank der Antike: Euklid schreibt hier seine Elementarmathematik. Aristarch entdeckt, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Eratosthenes berechnet den Erdumfang. Und für die Akademie gründet Ptolemaios eine Bibliothek, die alles Wissen der Welt versammeln soll.
In Alexandria werden nicht nur Natur- und Geisteswissenschaften gefördert, sondern auch anwendungsbezogene Forschung: zur Bienenzucht zum Beispiel, da Honig und Wachs wichtige Handelsgüter sind. Ferner Experimente mit Farben für die Textilproduktion.
Der rätselhafte Untergang der Bibliothek
Schon in der Antike wird die Bibliothek von Alexandria zum Mythos. Umso rätselhafter ist ihr Untergang. So kursiert das Gerücht, Caesar habe die Bibliothek um 48 vor Chr. während seines Besuchs bei der Ptolemäer-Königin Kleopatra versehentlich in Brand gesteckt. Andere sagen, die Araber hätten sie im 7. Jahrhundert vernichtet. Beides sind spätere Erfindungen.
Sicher mag es auch mal gebrannt haben, aber Prof. Heinz-Günther Nesselrath, Altphilologe und Graecist an der Universität Göttingen, hält einen langen schleichenden Untergang der Bibliothek aus einem ganz profanen Grund für möglich: es fehlte irgendwann an Geld.
Ein neues Fenster zur Welt
2.000 Jahre später wird die Idee vom globalen Wissensspeicher durch die neue Bibliotheca Alexandrina wiederbelebt. Gründungsdirektor Ismail Serageldin sagt, "Sie soll ein Fenster der Welt für Ägypten und Ägyptens Fenster zur Welt sein. Ein Treffpunkt der Kulturen und Zivilisationen, an dem Menschen aus aller Welt zusammen kommen."
Autorin des Hörfunkbeitrags: Marfa Heimbach
Redaktion: David Rother
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 16. Oktober 2022 an die Eröffnung der neuen Bibliothek von Alexandria. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
ZeitZeichen am 17.10.2022: Vor 65 Jahren: Literaturnobelpreis für Albert Camus.