Ab 1865 wird den Frauen in Großbritannien Hoffnung auf das Frauenwahlrecht gemacht. 40 Jahre lang richten sie Petitionen ans Parlament. Die Vorlagen schaffen es zwar auf die Tagesordnung, aber verhandelt wird über sie nie. Viele Frauen wollen sich deshalb nicht mehr auf die Männer verlassen. "Deeds not Words" ("Taten statt Worte") lautet der Wahlspruch der "Women's Social and Political Union" (WSPU), die sich 1903 gründet.
Im Unterschied zu den konventionellen Frauenorganisationen will die politische und soziale Frauenunion für mehr Aufmerksamkeit sorgen. Straßenproteste sollen ihr Anliegen in die Öffentlichkeit und die Presse tragen. Zu diesen Aktivistinnen gehört auch die Lehrerin Emily Davison. Ihr Wahlspruch lautet:
Militante Suffragetten
Emily Wilding Davison, die am 11. Oktober 1872 in London geboren wird, ist schon als Kind rebellisch. Sie will nicht brav sein und spielt lieber mit Zinnsoldaten als mit Puppen. Bei ihrem Studium der Literaturwissenschaften am Royal-Holloway-College in Surrey kommt sie mit Aktivistinnen für das Frauenstimmrecht in Kontakt. Davison schließt sich 1906 dem radikaleren Flügel um WSPU-Gründerin Emmeline Pankhurst an.
Dieser Teil der Suffragetten-Bewegung ist überzeugt, dass sich das Frauenstimmrecht nur mit zivilem Ungehorsam und militanten Aktionen erstreiten lässt. Davison ist als Kämpferin immer mit vorne dabei. Sie organisiert Aktionen und Proteste: Flyer werden verteilt, ganze Stadtteile zuplakatiert, Veranstaltungen und Theateraufführungen durch Reden unterbrochen. Auch Fensterscheiben werden eingeschlagen, teilweise über Straßenzüge hinweg.
Isolationshaft und Hungerstreiks
Die britische Regierung reagiert mit Gewalt - selbst auf jene Frauen, die nur demonstrieren und Plakate hochhalten. Sie werden von der Polizei zusammengeschlagen, verhaftet, zu Gefängnisstrafen verurteilt. Den Inhaftierten wird die Anerkennung als politische Gefangene verweigert. Bei Protest gibt es Isolationshaft.
Emily Davison wird insgesamt acht Mal verhaftet. Sie tritt immer wieder in den Hungerstreik und wird zwangsernährt. Sie versucht einen Suizid, um gegen die Misshandlung der mitinhaftierten Kämpferinnen zu protestieren. Ab 1912 greift die WSPU zu härteren Mitteln: Brandanschläge, gesprengte Briefkästen, Briefbomben, Paketbomben. Aktionen, die auch innerhalb der Frauenrechtsbewegung kritisiert werden.
Vor Königspferd geworfen
Am 4. Juni 1913 startet Davison ihre spektakulärste Aktion. Schauplatz ist das traditionelle Epsom-Derby, eines der wichtigsten Sportereignisse in England. Vor Ort sind die internationale Presse und König Georg V., der eines seiner Pferde ins Rennen schickt. Emily Davison wirft sich bei diesem Galopprennen vor das Pferd des Königs. Der Jockey wird nur leicht verletzt. Sie selbst stirbt vier Tage später an ihren inneren Verletzungen, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
"Erste Märtyrerin für Frauenwahlrecht" titelt der "Daily Sketch" am 9. Juni. Auch die "New York Times" berichtet auf ihrer Titelseite über ihren Tod. Der Erste Weltkrieg setzt der Auseinandersetzung vorerst ein Ende. Ein Teil der Suffragetten wandelt sich zu Patriotinnen, die sich in die Heimatfront einreihen. Die Kriegsgegnerinnen schließen sich der internationalen Frauenfriedensbewegung an. Erst nach Kriegsende wird in Großbritannien das Frauenwahlrecht eingeführt.
Autorin und Autor des Hörfunkbeitrags: Veronika Bock und Ulrich Biermann
Redaktion: David Rother
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 11. Oktober 2022 an Emily Davison. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
ZeitZeichen am 12.10.2022: Vor 530 Jahren: Christoph Kolumbus "entdeckt" Amerika