Trotzdem erscheint "A Genuine Tong Funeral" 1967 unter dem Namen des Vibraphonisten Gary Burton, der das Album in Auftrag gegeben hat. Ihn kürt ein Fachmagazin dafür im Folgejahr zum "Jazzman oft he Year". Und Carla Bley beschließt aus Enttäuschung, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, in einer von Männern dominierten Musikwelt als Jazzerin wahrgenommen zu werden.
Zigaretten im "Birdland"
Geboren wird Bley am 11. Mai 1936 als Lovella May Borg in Oakland, Kalifornien. Ihr Vater ist Organist und Chorleiter der dortigen Pfingstlergemeinde. Sie sammelt erste Musikerfahrungen im Gottesdienst. Als ihre Mutter stirbt, ist die Achtjährige auf sich allein gestellt. Sie verlässt die High School ohne Abschluss und kommt schließlich mit dem Free Jazz in Berührung. Mit 17 macht sie sich trampend auf den Weg nach New York City, um mehr von der aufregenden Strömung mitzubekommen.
Bley lebt als Obdachlose in der Stadt, schläft am Bahnhof, hört im Jazzclub Café Bohemia Miles Davis – und bekommt schließlich im legendären „Birdland“ einen Job als Zigarettenverkäuferin. Aber sie verkauft kaum etwas, weil sie ungestört den Musikern lauschen will. So lernt sie den Jazz aus der Anschauung von Count Basie bis John Coltrane bis ins Detail kennen.
Von der Miniatur zur Oper
1956 kauft ihr der gefeierte kanadische Pianist und Nichtraucher Paul Bley eine Schachtel Zigaretten ab – ein Jahr später heiraten die beiden. Ihm zeigt sie ihre Kompositionen. Zwischen 1958 und 1966 macht Paul Bley rund 30 Aufnahmen von den Miniatur-Kompositionsvorschlägen für Improvisationen seiner Frau, die von anderen Musikern umgesetzt werden.
Mitte der 1960er Jahre gerät der Jazz durch neue Stilrichtungen in die Krise. Auch Carla Bley muss sich neu erfinden. Die Beatles bieten ihr hierfür Inspiration. Unter dem Einfluss von "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" entwickelt sie Ideen für ihre viel beachtete und hoch gelobte Jazz-Oper "Escalator Over the Hill" (1971). Es ist die erste Aufnahme, die unter ihrem eigenen Namen veröffentlicht wird.
Um ihre Unabhängigkeit zu sichern, gründet Bley 1972 ihr eigenes Vertriebs-Netzwerk. Gleichzeitig wagt sie sich mit "3/4" auf das Feld der klassischen Konzertmusik. Bis heute ist sie als Pianistin, Bandleaderin und Musikunternehmerin im Geschäft. Und musikalisch unabhängig.
- 30. November 1975 - Keith Jarretts Album "The Köln Concert" erscheint | mehr
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Autor des Hörfunkbeitrags: Niklas Rudolph
Redaktion: Hildegard Schulte
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 11. Mai 2021 an Carla Bley. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
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