Er formt, versteckt und verführt, er wird geliebt und gehasst: Der Büstenhalter ist aus dem weiblichen Kleiderschrank nicht mehr wegzudenken. Im Durchschnitt hat eine Frau heute neun BH in der Wäscheschublade liegen - aus unterschiedlichsten Materialen, Formen und Farben und für die verschiedensten Zwecke.
Dabei ist es keinesfalls eine neuartige Sitte, die Brüste zu bedecken und zu schützen. Bereits in der griechischen Antike tragen Mädchen Brustbänder, um männlicher zu erscheinen. Minoische Frauen auf Kreta dagegen stopfen ihre Busenbänder aus, um fehlende Fülle zu kaschieren.
Ab dem 17. Jahrhundert wird die weibliche Brust in enge Korsetts gezwängt, um die Traumfigur der Zeit - breite Hüfte, Wespentaille, wallender Busen - zu erreichen. Das Unterkleid ist entweder mit Stahlfedern, Walfischbein oder Büffelhorn verstärkt und wiegt um die fünf Kilo. Für die Frau bedeutet das Höllenqualen im Namen der Schönheit: Zeitweise liegt das geschnürte Taillenideal bei wahnwitzigen 40 Zentimetern Umfang.
Schindler lässt Frauen aufatmen
Einer der ersten, der dieser Tortur ein Ende setzen will, ist Hugo Schindler. Der Miederwarenfabrikant aus Böhmen entwirft einen simplen Brusthalter, der aus einem Gürtel mit Bändern besteht, an dem zwei robuste Rundkappen befestigt sind. Im Gegensatz zum Korsett soll das Mieder eine schöne Figur machen, ohne dass auf den Körper ein übermäßiger Druck ausgeübt wird. "So werden Störungen des Blutumlaufs oder Verkrüppelung der Leber und andere schädliche Einwirkungen verhindert", verspricht der Tüftler.
Am 3. September 1891 meldet Schindler seine Erfindung beim "Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum" in der Schweiz zum Patent an. Einen Stammplatz an der weiblichen Brust kann sich dieses BH-Modell zwar nicht erobern, dennoch trägt Schindler entscheidend dazu bei, die Frau aus dem Körperkorsett zu befreien. Bereits 1912 stellt eine Firma im schwäbischen Canstatt den ersten BH in Serie her.
Von den USA in die Welt
Der endgültige Siegeszug des BH beginnt jedoch mit der feierfreudigen New Yorkerin Mary Phelps Jacobs. Aus Seidentüchern und rosa Bändern bastelt sie einen geschmeidigen Korsett-Ersatz für ein Abendkleid, der sofort reißenden Absatz findet. 1914 erhält Phelps ein Patent für das federleichte Mieder, das sie später für 1.500 Dollar an die Filmproduktions-Tochter Warner Brothers Corset Company verkauft. Finanziell eine schlechte Entscheidung, denn schon 1920 beträgt der Gewinn aus dem Verkauf des neuen Büstenhalters 12,6 Millionen Dollar.
Heute wird der BH in jeder erdenklichen Variante hergestellt: trägerlos, rückenfrei, mit und ohne Körbchen oder Polsterungen. Seine grundlegende Struktur aber hat das Kleidungsstück seit über einem Jahrhundert beibehalten - und es hat wohl auch noch lange nicht ausgedient.
Autorin des Hörfunkbeitrags: Steffi Tenhaven
Redaktion: Hildegard Schulte
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