Das mit einem fröhlichen Mosaik verzierte "Sonnenblumenhaus" im Plattenbauviertel Rostock-Lichtenhagen steht im August 1992 im Zentrum eines viertägigen ausländerfeindlichen Terrors. Hier leben seit vielen Jahren Menschen aus Vietnam. Auch wenn sie von den Ostdeutschen diskriminierend "Fidschis" genannt werden - das Zusammenleben ist friedlich. Bislang.
Kanzler Kohl spricht von "Staatsnotstand"
Doch mit dem vermehrten Zuzug von Asylsuchenden aus dem ehemaligen Jugoslawien und aus Osteuropa baut sich eine immer aggressivere Stimmung auf. 440.000 sind es im Jahr 1992. Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) spricht vom "unkontrollierten Zustrom" und "Missbrauch" des Asylrechts. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) beschwört sogar den "Staatsnotstand".
Kohl will eine Verschärfung des Asylrechts durchpauken und benötigt für die Grundgesetzänderung die Stimmen der SPD. Die Terrornächte von Rostock und die immer stärker anschwellende "Das-Boot-ist-voll-Stimmung" in der Bevölkerung bereiten schließlich den Weg dafür. Kritiker sprechen von einer Aushöhlung des Asylrechts.
Aufnahmestelle überlastet
In mehreren Orten gibt es 1992 ausländerfeindliche Übergriffe. In Rostock eskaliert die Lage, weil die ZAST, die "Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber", sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Sonnenblumenhauses befindet. Wegen akuter Überbelegung müssen Asylsuchende zwischen den Plattenbauten kampieren. Die hygienischen Zustände sind desaströs.
Der Mob feiert seinen Erfolg
Am 22. August beginnen die Krawalle: Mehrere Tausend Menschen drängen sich vor der ZAST, Jugendliche werfen Molotowcocktails. Die Polizei ist zunächst hoffnungslos in der Unterzahl. Doch selbst als später Hundertschaften bereitstehen, erhalten sie keinen Befehl zum Eingreifen. Nach zwei Tagen wird die ZAST geräumt: Die Asylsuchenden ziehen unter dem Applaus eines grölenden Mobs ab.
Nun richtet sich die Gewalt plötzlich doch auch gegen die vietnamesischen Bewohner des Sonnenblumenhauses: Brandsätze fliegen, das Haus brennt lichterloh. Familien und ein dort drehendes ZDF-Team müssen über das Dach fliehen. Es sind dramatische Stunden, wie durch ein Wunder gibt es keine Toten. Es ist der Tiefpunkt der bis dahin schlimmsten ausländerfeindlichen Ausschreitungen in der Bundesrepublik.
Autor des Hörfunkbeitrags: Wolfgang Meyer
Redaktion: Matti Hesse
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 22. August 2022 an die ausländerfeindliche Gewalt in Rostock-Lichtenhagen. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
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