16. Januar 1957 - Dirigent Arturo Toscanini gestorben
Stand: 16.01.2022, 10:20 Uhr
Vielen gilt er als der wohl einflussreichste Dirigent des 20. Jahrhunderts. Musiker fürchten den "kleinen Toskaner", so die Übersetzung seines Namens, als Tyrannen am Taktstock; Werktreue ist für Arturo Toscanini oberstes Gebot. Mit seinem dramatischen Dirigierstil hat er die Orchesterführung revolutioniert.
Seine herabsetzenden Rüpeleien gegenüber Kollegen sind ebenso legendär wie seine Wutausbrüche und Beleidigungen bei Proben. "Der verfluchteste Makkaronikloß, der einem in den Hals kommen kann", schimpft etwa der Cellovirtuose Gregor Piatigorsky über Arturo Toscanini. Völlig anders beurteilt der Komponist Giacomo Puccini den gnadenlosen Maestro: "Toscaninis Interpretationen sind Wunder. Wenn er dirigiert, ist er Gott nahe."
Bereits mit neun Jahren besucht der 1867 in Parma geborene Schneidersohn das Konservatorium seiner Heimatstadt. "Ich war ein fleißiger Student, weil ich die Musik liebte und mich nicht zum Studium zwingen musste", erinnert sich Toscanini an seine Anfänge.
Aufstieg an der Mailänder Scala
Der Zufall verhilft Arturo Toscanini 1886 zu seinem ersten Einsatz als Dirigent. Bei einer Orchestertournee mit Verdis "Aida" durch Brasilien springt er In Rio de Janeiro für den erkrankten Dirigenten ein und leitet die gesamte Aufführung ohne Partitur. Italiens Zeitungen überschlagen sich vor Begeisterung über das "musikalische Wunder". 1887 dann sitzt Toscanini bei der Uraufführung von Verdis "Otello" an der Mailänder Scala am zweiten Cellopult.
Mit gerade einmal 31 Jahren erklimmt Toscanini den Thron des Opernlandes Italien und wird Musikdirektor der Mailänder Scala. Dort dirigiert der leidenschaftliche junge Pultstar etliche Uraufführungen wie Puccinis "La Bohème", Richard Wagners "Meistersinger" und Claude Debussys "Pelléas Mélisande".
Emigration in die USA
Toscanini (2.v.l.) mit Bruno Walter, Erich Kleiber, Otto Klemperer, Wilhelm Furtwängler (1930)
Im Triumphzug erobert Toscanini von Wien bis New York alle großen Opernbühnen und Konzerthäuser. 1899 kommt er erstmals nach Bayreuth – als Besucher. Erst 30 Jahre später tritt er dort als Dirigent auf, doch Hitlers Machtübernahme 1933 macht ihm ein weiteres Engagement auf dem Grünen Hügel unmöglich. Denn kompromisslos ist Toscanini nicht nur im Opernverständnis, sondern auch in seinem politischen Denken.
Bei Italiens Diktator Mussolini fällt er in Ungnade, weil er sich weigert, die verordneten faschistischen Hymnen zu dirigieren. 1931 wird Toscanini in Bologna von Schwarzhemden angegriffen, der Stadt verwiesen und die Mailänder Scala unter Polizeiaufsicht gestellt. "Das wird diesen Musiklümmeln eine Lehre sein", kommentiert der "Duce" hämisch. Das nichtfaschistische Ausland feiert Toscanini für seine Haltung als Freiheitshelden. 1937 emigriert er endgültig in die USA.
Stiller Abgang von der Bühne
In New York übernimmt Arturo Toscanini die Leitung des eigens für ihn gegründeten NBC Symphony Orchestra. "Straffe Tempi, starke dynamische Kontraste, Präzision und Perfektion", so beschreibt der Musikkritiker Bjørn Woll Toscaninis einzigartige Orchesterführung
Erhaltene Probenmitschnitte belegen Toscaninis Wutanfälle, wenn Musiker seinem Streben nach absoluter Werktreue nicht genügen. Dennoch, sagt Bjørn Woll, spiegeln deren Äußerungen über den Wüterich am Taktstock nicht nur Angst, "sondern auch das Wissen um die besondere künstlerische Integrität von Toscanini, das Bewusstsein, Teil von etwas ganz Besonderem zu sein."
Im April 1954 dirigiert der inzwischen 87-Jährige in der Carnegie Hall ein Wagner-Programm. Mitten im Konzert unterbricht Toscanini, lässt den Taktstock sinken und geht langsam von der Bühne. Es war sein letzter Auftritt als Dirigent. Keine drei Jahre später, am 16. Januar 1957, stirbt Arturo Toscanini in New York. Vor der Beisetzung in Mailand defilieren rund 40.000 Menschen in der Scala an seinem Sarg vorbei.
Autor des Hörfunkbeitrags: Christoph Vratz
Redaktion: Gesa Rünker
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 16. Januar 2022 an Arturo Toscanini. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
ZeitZeichen am 17.01.2022: Vor 80 Jahren: Boxchampion Muhammad Ali wird geboren