4. Juni 1928 - Der "Eiserne Gustav" trifft mit seiner Pferdedroschke in Paris ein

Mit der Droschke nach Paris: Eine spektakuläre Fahrt des Berliner Kutschers Gustav Hartmann sorgt 1928 für Aufsehen. Den Beinamen "Eiserner Gustav" hat er allerdings schon zuvor.

Der Letzte am Abend und der Erste am Morgen - Gustav Hartmann steht mit seiner Droschke fast zu jeder Uhrzeit am Bahnhof Wannsee. Wegen dieser jahrzehntelangen Präsenz wird er der "Eiserne Gustav" genannt. Mit 26 Jahren hat er am 1. April 1885 ein Fuhrunternehmen eröffnet, die "Wannsee-Droschken". Der Standort ist optimal: Berlin-Wannsee ist Ziel für jede Menge Ausflügler.

Geboren wird Gustav Theodor Andreas Hartmann am 4. Juni 1859 in Magdeburg. Weil er ursprünglich nicht Droschkenkutscher werden will wie sein Vater, macht er in Hannover eine Bäckerlehre. Danach zieht er nach Berlin und eröffnet einen Kolonialwarenladen. Als das Geschäft pleite geht, sattelt Hartmann um. Sein Droschkengewerbe läuft gut: Er stellt weitere Kutscher ein, baut ein dreistöckiges Haus und vermietet Wohnungen.

Rekordfahrt mit der Droschke: "Eiserner Gustav" erreicht Paris WDR ZeitZeichen 04.06.2023 14:57 Min. Verfügbar bis 04.06.2099 WDR 5

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Von einer Rekordreiterin inspiriert

1927 ist Hartmann einer der ältesten Droschkenkutscher Berlins, als im November die französische Rekordreiterin Rachel Dorange auf ihrem Ritt von Paris nach Bukarest am Wannsee an seiner Kutsche vorbeikommt. Damals sorgen Rekorde für Begeisterung. Charles Lindbergh hat im Mai den Atlantik überflogen und der englische Rennfahrer Malcolm Campbell stellt immer wieder Geschwindigkeitsrekorde auf.

Hartmann ist beeindruckt von Rachel Dorange und verspricht ihr, sie im folgenden Jahr zu besuchen. Er ist sich sicher: Was eine 25-Jährige schafft, kann er auch. Er will seinen 69. Geburtstag in Paris feiern - und angeblich mit der Fahrt gegen den Niedergang des Pferdedroschkengewerbes protestieren. Doch das ist eine Legende: Gustav besitzt selbst zwei dieser neumodischen Automobile, mit denen seine Angestellten die Kundschaft chauffieren.

Seine Frau Marie ist von dem Vorhaben nicht begeistert. Sie soll ein paar Wochen nicht mit ihm gesprochen haben. Doch schließlich lässt sie sich sogar dabei fotografieren, wie sie Gustav hilft, seine Kutsche für die Reise zu beladen.

Französische Flaggen an der Droschke

Am 2. April 1928 beginnt die Fahrt nach Frankreich. Es geht über Magdeburg, Braunschweig, durch das Ruhrgebiet nach Köln. Die Menschenmengen, die ihn begrüßen, werden immer größer. Der "Eiserne Gustav" antwortet ihnen mit kurzen Sätzen wie zum Beispiel: "Es lebe der Kölner Dom!"

Nach Trier und Saarbrücken ist das Dorf Perl die letzte Station in Deutschland. Hartmann befestigt eine französische Flagge an seiner Droschke. Die Franzosen sind begeistert und rufen "Gustav le fer". Das ist nicht selbstverständlich, denn der Erste Weltkrieg ist erst zehn Jahre her. Hartmann fährt mit seiner Droschke durch Gegenden, die durch den Krieg zu Ruinen wurden.

Torte von der Pariser Bäckerinnung

Am 4. Juni 1928 ist es geschafft: Der "Eiserne Gustav" erreicht wie geplant an seinem 69. Geburtstag Paris. Dort wird er enthusiastisch empfangen. Die Pariser Bäckerinnung spendiert ihm eine Geburtstagstorte mit 69 Kerzen. Der deutsche Botschafter lädt ihn zum Frühstück ein und hält eine Rede über Völkerverständigung.

Hartmann bleibt neun Tage in der Stadt. Dann geht es zurück nach Berlin, wo der Kutscher und sein Wallach namens Grasmus im September ankommen. Die Schlagzeilen der Zeitungen überbieten sich. Es ist die Rede von Händeklatschen, Hochrufen, Mützenwerfen, meilenweiten Spalieren und Heerscharen von Menschen.

Seine Geschichte lebt weiter

Insgesamt hat die Droschkentour mit einer Länge von 2.000 Kilometern rund drei Monate gedauert. Währenddessen soll der "Eiserne Gustav" 22 Pfund abgenommen haben. Nach seiner Rückkehr eröffnet er einen Kiosk am Wannsee, verkauft Ansichtskarten und erzählt von seiner Reise nach Paris. Am 23. Dezember 1938 stirbt Gustav Hartmann mit 79 Jahren in Berlin.

Seine Geschichte lebt weiter: in einem Roman von Hans Fallada, einem Kinofilm mit Heinz Rühmann, einer Fernsehserie mit Gustav Knuth - und in einem Gedicht von Erich Kästner:

"Obwohl er nicht Französisch kann, hat er sich in Paris verständigt. Denn dort, wo das Verstehen endigt, fängt die Verständigung erst an." Erich Kästner, Schrifsteller

Autor des Hörfunkbeitrags: Thomas Klug
Redaktion: Matti Hesse

Programmtipps:

ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 4. Juni 2023 an den "Eisernen Gustav". Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.

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