1. Februar 1968 - Erste deutschsprachige Aufführung des Musicals "Anatevka"

Eines der bekanntesten Musicals hat kein Happy End: Wenn die Geschichte von "Anatevka" vorüber ist, gibt es das jüdische Schtetl nicht mehr. Was bleibt, ist der berühmte Ohrwurm "Wenn ich einmal reich wär'...", gesungen vom armen Milchmann Tevje.

Der jüdische Milchmann Tevje ist eine berührende Figur, die von einem besseren Leben träumt. Unvergessen interpretiert vom israelischen Schauspieler Shmuel Rodensky.

Er spielt den Tevje in der deutschsprachigen Erstaufführung des Musicals "Anatevka" 1968 in Hamburg und verkörpert ihn insgesamt weit über tausend Mal auf bundesrepublikanischen Bühnen.

Das Musical "Anatevka" erstmals in Deutschland (am 01.02.1968) WDR ZeitZeichen 01.02.2023 14:53 Min. Verfügbar bis 01.02.2099 WDR 5

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Flucht vor den Pogromen in der Heimat

Das Musical basiert auf dem Roman des jiddischen Schriftstellers Scholem Alejchem "Tevjeh der Milchiger", bestehend aus einer Folge von Erzählungen, die er zwischen 1895 und seinem Todesjahr 1916 niederschreibt. Alejchem flieht 1905 nach Pogromen seine Heimat und lässt sich später in New York nieder.

Juden im russischen Kaiserreich nur geduldet

Alejchems Texte erzählen vom Alltag der kleinen Leute in den jüdischen Schtetln, von ihrer Armut, den Sitten und Gebräuchen, den Sorgen um das tägliche Brot und dem schwelenden Antisemitismus.

Als Schtetl werden Siedlungen mit hohem jüdischem Bevölkerungsanteil im Siedlungsbereich der Juden in Osteuropa vor dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet. Juden sind damals nur geduldet im russischen Kaiserreich.

Ein Milchmann findet Eingang in die Weltliteratur

Shmuel Rodensky als Milchmann Tevje | Bildquelle: picture alliance/United Archives

Aber seine Geschichten erzählen auch von der Lebensfreude der Menschen und ihren ausgelassenen Festen. Sein Roman Tevje, der Milchmann ist sein bekanntestes Werk und zählt längst zur Weltliteratur.

Lange nach Alejchems Tod inspiriert es den Musiker Jerry Bock, den Dramatiker Joseph Stein und den Songtexter Sheldon Harnick zu dem Musical "Fiddler on the Roof". 1964 erlebt das Stück in New York seine Uraufführung und kommt vier Jahre später, ins Deutsche übertragen von Rolf Merz, am 1. Februar 1968, in Hamburg unter dem Titel "Anatevka" heraus.

Die Töchter sollen unter die Haube kommen

Das Musical erzählt auf tragisch-komische Weise vom Leben in einem kleinen jüdischen Schtetl namens "Anatevka", in dem Tevje und seine Familie zu Hause sind. Die Geschichte spielt im Jahr 1905.

Drei der Töchter Tevjes sind im heiratsfähigen Alter und er will sie nun möglichst gut unter die Haube bringen. Eine nach der anderen, die Älteste zuerst, so gebietet es die Tradition in dem kleinen Ort in der Nähe von Kiew.

Eine Geschichte ohne Happy End

Die Geschichte hat kein Happy End. Ein Fest in "Anatevka" endet abrupt mit einem Pogrom. Russische Soldaten stürmen herein und schlagen alles kurz und klein. Das letzte Bild vor der Pause zeigt ein Trümmerfeld.

Wenn sich der Vorhang zum zweiten Akt wieder hebt, beginnt der große Abschied, auch für Tevje persönlich. Die Töchter folgen ihren Männern, die Familie bricht auseinander und ein Erlass des Zaren zwingt alle Juden zum Exodus aus Anatevka. Sie sind dort nicht länger geduldet und müssen das Dorf innerhalb von drei Tagen verlassen.

Ein kurzes Glück in New York

Scholem Alejchem, teilt das Schicksal seiner Figuren aus "Anatevka". Die Pogrome in Russland 1905 zwingen auch ihn, die Heimat zu verlassen. 1914 gelingt es ihm schließlich in New York Fuß zu fassen, wo ihn die jüdische Community begeistert aufnimmt.

Als er zwei Jahre später im Alter von nur 57 Jahren stirbt, folgen rund 150.000 Menschen seinem Sarg durch die ganze Stadt bis zum Mount-Carmel-Friedhof in Queens.

Autorin des Hörfunkbeitrags: Heide Soltau
Redaktion: Gesa Rünker

Programmtipps:

ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 01. Februar 2023 an das Musical "Anatevka". Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.

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