New York im Mai 1854: Im “Crystal Palace“ auf der Weltausstellung sind Hunderte von Schaulustigen zusammengekommen. Ihr Interesse gilt einem Lastenaufzug. Darauf steht, zwischen Kisten und Fässern, Elisha Graves Otis in Frack und Zylinder. Der Erfinder lässt sich nach oben ziehen – und bittet dann einen Assistenten, das Seil, an dem die Plattform hängt, mit einem Schwert durchzuschlagen.
Das blanke Entsetzen der Menge verwandelt sich in ungläubiges Staunen, als die Plattform mit Otis zwar kurz absackt, dann aber zum Stillstand kommt: Bremsscheiben haben sie automatisch gestoppt. "Alles sicher, meine Herren, alles sicher", soll Otis von oben zum Publikum hinabgerufen haben.
Wie transportiert man Bettgestelle?
Vermutlich ist die Geschichte um die Präsentation des "sicheren Aufzugs" Legende. Aber die Vorführung der Fahrstuhlbremsen hat, wenn auch in weniger spektakulärem Rahmen, auf der New Yorker Weltausstellung stattgefunden. Und sie sichert der "Otis Elevator Company" als weltweit erster Aufzugsfirma ihre ersten Aufträge.
Ihr Gründer Elisha Graves Otis wird 1811 in Halifax im US-Bundesstaat Vermont geboren. Zwischen 1838 und 1845 baut er in Brattleboro Waggons, später arbeitet er als Mechaniker-Meister in einer Bettgestell-Firma in New Jersey. Hier beginnt er, über Lastenaufzüge nachzudenken. Im Auftrage der Firma entwickelt er 1852 seinen Aufzug mit Sicherheitsbremsen. Ein Jahr später gründet er in New York sein eigenes Unternehmen.
Wegbereiter des Wolkenkratzers
Otis trifft den Nerv der Zeit. Denn die Angst vor Unfällen mit Aufzügen ist nicht zuletzt wegen entsprechender Vorfälle im europäischen Bergbau groß. Und die wachsende Bevölkerung der US-Großstädte erfordert eine Architektur, die nach oben strebt. Bezeichnenderweise heißen die ersten Hochhäuser nicht Wolkenkratzer, sondern "Elevator Buildings": Aufzug-Gebäude. Denn das durch Otis' Erfindung verbesserte Transportmittel macht die modernen Metropolen eigentlich erst möglich.
Im März 1857 nimmt der erste Personenaufzug mit Absturzsicherung in einem New Yorker Warenhaus Fahrt auf: Dampfbetrieben bewältigt er die fünf Stockwerke in weniger als 60 Sekunden. Danach stellt der Aufzug die Welt zunehmend auf den Kopf: Wohnten bisher die Bediensteten ganz oben, wird die nun bequem ohne Treppen erreichbare Höhe zu einem Privileg der Reichen in ihren Penthauswohnungen.
Kurz vor seinem Tod meldet Otis seine Erfindung zum Patent an. Er stirbt am 8. April 1861 in New York. Der Unternehmer hinterlässt auch andere Patente, darunter eines für Zugbremsen, für einen Dampfpflug und für einen Backofen. Aber der "sichere Aufzug" ist seine wichtigste Erfindung.
Bis heute ist die "Otis Elevator Company" der größte Hersteller von Aufzugsanlagen weltweit.
Autor des Hörfunkbeitrags: Ralph Erdenberger
Redaktion: Gesa Rünker
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 8. April 2021 an den Erfinder Elisha Graves Otis. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
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