Szenen wie aus einem Horrorfilm: Im Jahr 897 wird in Rom auf dem Papstthron eine modrige Leiche festgebunden. Ihr wird der Prozess gemacht. Angeklagt ist Papst Formosus, der am 4. April 896 mit 80 Jahren gestorben und zunächst mit allen Ehren bestattet worden ist.
Dieser Vorfall ereignet sich im "dunklen Jahrhundert" der Papstgeschichte. Genau genommen dauert dieses "Saeculum obscurum" 164 Jahre lang - von 882 bis 1046. Für diese Periode sind insgesamt 45 Päpste und Gegenpäpste verzeichnet. Etliche von ihnen werden vergiftet, erwürgt oder totgeschlagen.
"Schauer-Synode"
Zu dieser Zeit ist das Papsttum eine Art Spielball: Die römischen Adelsfamilien versuchen, ihnen genehme Kandidaten auf dem Thron zu platzieren. Den Päpsten wiederum fällt es schwer, einen Konsens mit dem römischen Adel und den Königen herzustellen.
Auch im Fall von Papst Formosus geht um Macht. Neun Monate nach seinem Tod und zwei Päpste später verfügt der amtierende Pontifex Stephan VI. den Leichenprozess, der später "Synodus horrenda" ("Schauer-Synode") genannt wird.
Gegen Wechselverbot verstoßen
Die Anklage: Verschwörung gegen Stephans Vorgänger, Meineid und Verstoß gegen das damalige "Translationsverbot". Dieses Verbot aus dem 4. Jahrhundert besagt: Kein Bischof darf das Bistum, für das er geweiht ist, verlassen und in ein anderes wechseln.
Formosus ist jedoch vom Bistum Porto auf den Bischofsstuhl in Rom gewechselt. Der Tote, der sich während des dreitägigen Leichenprozesses zu keinem der Vorwürfe äußert, wird verurteilt. Er verliert sämtliche päpstlichen Würden.
Schwurfinger abgehackt
Stephan VI. gibt Befehl, dem Verurteilten die päpstlichen Gewänder vom Leib zu reißen und die Schwur-Finger der rechten Hand abzuhacken. Die Leiche wird verscharrt, dann in den Tiber geworfen.
"Möglicherweise hielt Stefan VI. die Leichensynodes ab, um sein eigenes Papsttum zu legitimieren", sagt Historikerin Annette Grabowsky. Denn er habe sich ebenfalls des Bistumswechsels schuldig gemacht. "Geweiht hatte ihn Formosus, und indem er dessen Weihen für ungültig erklärte, konnte er sich von diesem Makel befreien."
Streit endet in Ravenna
Kurz nach der Schauer-Synode stürzt in Rom die Lateranbasilika ein. Die Römer deuten dies als Zeichen Gottes - und Papst Stephan VI. wird deshalb erwürgt.
Der Streit zwischen Formosus-Anhängern und ihren Gegnern zieht sich noch jahrzehntelang hin. Erst 967 ist Schluss: Auf einer Synode in Ravenna fällt der Beschluss: Niemals wieder soll ein Toter vor Gericht angeklagt werden.
Autor des Hörfunkbeitrags: Wolfgang Meyer
Redaktion: Ronald Feisel
Programmtipps:
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 4. April 2021 an Papst Formosus. Das "ZeitZeichen" gibt es auch als Podcast.
ZeitZeichen am 05.04.2021: Vor 45 Jahren: Unternehmer Howard R. Hughes stirbt in Houston