Die Trauer hält Ana auch nach zwei Jahren im Griff: Damals brach ihr rumänischer Vater Nicu in einer Berghütte in seiner Heimat zusammen und starb kurz danach. Ana war zu dem Zeitpunkt in ihrem Geburtsland Deutschland und schaffte es erst zur Beerdigung nach Rumänien. Seitdem versucht sie alles Mögliche, um den Verlust zu verarbeiten: Kampfsport, Eisbaden, Tagebuchschreiben. Aber nichts hilft wirklich.
Da kommt ein Anruf aus Rumänien: Ein Gericht hat entschieden, dass die Familie die Villa zurückbekommt, die ihr in den kommunistischen Jahren weggenommen wurde. Anas Anwesenheit als Mitbesitzerin ist erforderlich. Ana macht sich auf den Weg und hofft vor allem auf eines: Das sagenumwobene Pfauengemälde, das ihrem Vater so wichtig war, zu bekommen. In Rumänien warten aber erstmal viele Menschen auf sie: Tanten, Cousins und Cousinen, Großcousins, die sie herzlich willkommen heißen.
Maria Bidian porträtiert diese ehemals großbürgerliche Familie mit liebevollem Strich und großer Authentizität. Sie zeigt dabei, wie sich das Trauma der kommunistischen Herrschaft über viele Jahre und auch bei nachfolgenden Generationen in den Familien festsetzt. Ana ist mit den Geschichten ihres Vaters über die Folter der Geheimpolizei Securitate und all den Gemeinheiten des unterdrückerischen Regimes aufgewachsen. Nun ist Nicu tot – aber seine Geschichten leben in ihr weiter. So sehr, dass sie sich fragt: Wer bin ich eigentlich ohne diese Geschichten?
Die Autorin nimmt die Perspektive der zerrissenen Ana – sicherlich auch aus eigenem Erleben - sehr überzeugend ein. Dabei geht es nicht um große Effekte, sondern um ein Eintauchen in ihre andere Heimat, Rumänien. Der Ort, an dem sie im Landhaus ihrer Familie auf dem Dorf verzauberte Sommerferien verbachte. Und so schieben sich in Anas Beobachten immer wieder Szenen aus vergangenen Zeiten, sodass Gegenwart und Vergangenheit gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Das ist eine große Stärke dieses Romans: Die Zeitebenen sind kunstvoll miteinander verwoben, sodass eine besondere Tiefe entsteht.
Neben der feingezeichneten individuellen Geschichte der Familie, entsteht so auch ein lebendiges Bild des heutigen Rumäniens: Ana gerät in eine Demonstration gegen korrupte Politik, Nationalisten und EU-Fans stehen sich gegenüber. Gleichzeitig gehen die Uhren auf den Dörfern noch anders: Hier kann man mit Ana in eine ursprüngliche ländliche Idylle eintauchen – die aber immer wieder von traumatischen Erinnerungen aufgebrochen wird.
"Das Pfauengemälde" zeigt die komplexe Vergangenheit des Landes und seiner Menschen auf sensible und raffinierte Weise und ist so in der Lage, den Blick auf Rumänien zu verändern.
Eine Rezension von Lina Brünig
Literaturangaben:
Maria Bidian: Das Pfauengemälde
Zsolnay, 2024
320 Seiten, 24 Euro