Bei einem Abend zwischen Hans Albers Platz und Reeperbahn kann man so Einiges erleben. In Kneipen wie dem Elbschlosskeller hängen gescheiterte Existenzen an ihrem Astra, in hippen Bars bouncen Studis zu Trap, Elektronik und Pop-Hits, und am Ende sitzt man verschwitzt-melancholisch am Tresen und heult wegen einer verflossene Liebschaft. Und zu all diesen Erlebnissen könnte man jeweils einen Song vom neuen Album "Stadium Rock" von Haiyti auflegen...
Think Big!
Haiyti ist die Visionärin ohne Plan, eine von ADHS gesteuerte hyperaktive Rap-Maschine, die im Schnitt pro Jahr zwei Releases rausbringt und sich immer wieder neu erfindet. Nach Pop-Erfolgen mit KitschKrieg, Tracks mit Hafti, Tretti oder Jan Delay, Hyper-Pop-Experimenten und jüngst einem Dancehall-Projekt mit DJ Triplet aus Frankfurt nun also "Stadium Rock". Heißt das nun enge Jeans, Vokuhila und Poser mit quietschenden E-Gitarren? Eine komplette musikalische Kehrtwende Richtung Rocker-Attitüde und großer Pop-Geste? Nun ja, nur zum Teil. In Songs wie "Lumen" singt die 31-jährige zu einem NDW-Beat über Flutlicht, Ruhm und Ikonenstatus, am Ende gibt es auch tatsächlich ein schrilles Gitarrensolo. Die Single "Dreh Dich nochmal um" verbindet Indie-Gitarren mit süßer Lovestory, und im Skit "Ladyboy" covert sie trashig John Travoltas und Oliva Newton-Johns "Summer Nights" aus dem Musical "Grease".
Moshpit Massacker
Doch wenn man gerade noch von Pop-Melodien umschmeichelt wurde, dann lauert um die Ecke schon der nächste Arschtritt: Denn neben den Rock-poppigen Experimenten ist Ronja Zschoche immer noch für zünftige Moshpit-Momente gut. "Cini Mini" ist ein düsterer 808-Banger mit Stargast Money Boy, "Ain't it rock" ein überdrehter Elektro-Drill-Bastard über Drogenhandel und Raub und "Der Kugelschreiber poppt nicht" mixt Rage Against The Machine-Attitüde, metallische Gitarren-Riffs und schrilles Geschrei von Homie Joey Bargeld: "Das ist Stadion Rock Bitch, du machst Pop Hits, Fick deinen Gossip!"
Spontane Genialität
Der rote Faden von "Stadium Rock" sind die emotionalen, catchy Hooks, die man in Balladen wie "Tagebuch" aber auch im 80er-Electric Boogie-Track "Liebe den Hate" hören kann. Die größte Überraschung sind Dance-Songs wie "Sternenhimmel Digital", für das der Hamburger Farhot einen rumpeligen Disco-Beat geschmiedet hat, sowie "Eine Nacht wie Jazz" auf einem treibenden House-Instrumental. Mit funky 130 BpM katapultiert uns Haiyti raus aus ihrem Stadion und wir liegen uns auf der Tanzfläche in den Armen. "Stadium Rock" ist ein aufregendes Sammelsurium an Stilen, mit Songs, die in der Regel bei lockeren Sessions in wenigen Stunden entstanden sind. Haiyti zeigt, dass man nicht immer alles planen oder durchkonzipieren muss um ein freshes Ergebnis zu erzielen. Ihr "Stadium Rock" ist ein Plädoyer für Spontanität, Offenheit, und dafür, nicht alles immer so ernst zu nehmen.