In den USA gibt es das Medikament schon länger, seit Juli dürfen auch Ärzte in Deutschland die Abnehmspritze mit dem Handelsnamen Wegovy als Adipositas-Therapie verschreiben.
Wie wirkt die Abnehmspritze?
Spritzt man sich einmal wöchentlich das Mittel mit dem Wirkstoff Semaglutid unter die Haut, reguliert das den Appetit. Beim Essen stellt sich das Sättigungsgefühl schneller ein, Patientinnen und Patienten haben weniger Hunger. Einer Studie zufolge haben Betroffene in etwas mehr als einem Jahr etwa 15 Prozent Gewicht verloren, wenn sie zugleich auch ihren Lebensstil angepasst haben. Ein Medikament mit dem gleichen Wirkstoff ist in Deutschland schon etwas länger verfügbar. Es ist allerdings nicht für die Adipositas-Behandlung zugelassen.
Für wen ist das Medikament geeignet?
Ein Lifestylemittel, um die Traumfigur zu erreichen, ist das Medikament aber definitiv nicht. Fachleute warnen davor, das Mittel bei Normalgewichtigen anzuwenden. Zugelassen ist es für Erwachsene mit einem Body-Mass-Index (BMI) von mindestens 30. Ab dann gilt man als fettleibig. Ebenfalls erhalten kann das Medikament, wer einen BMI von über 27 hat und weitere gewichtsbedingte Erkrankungen - zum Beispiel Diabetes oder Bluthochdruck. Auch Kinder über zwölf Jahren können das Mittel unter bestimmten Bedingungen erhalten.
Welche Nebenwirkungen können auftreten?
Die Nebenwirkungen hält die europäische Zulassungsbehörde EMA für "beherrschbar". Am häufigsten treten Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit oder Durchfall auf, auch andere seltene Nebenwirkungen sind möglich. Vor wenigen Tagen hat die EMA aber eine neue Untersuchung eingeleitet. Der Verdacht: Das Mittel könnte in einzelnen Fällen Suizidgedanken hervorrufen und bei Typ-2-Diabetes-Patienten Schilddrüsenkrebs begünstigen.
Wie lange muss man Wegovy einnehmen?
Laut Andreas Klinge von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft muss man Wegovy nach aktuellem Stand für immer einnehmen. "Wenn man die Spritze wieder absetzt, nehmen die Menschen das Gewicht auch wieder zu, das sie vorher abgenommen haben", zitiert ihn die Tagesschau.
Was kostet die Abnehmspritze?
Wer sich für die Therapie entscheidet und ein Rezept bekommt, muss mit hohen Kosten rechnen. Laut Hersteller Novo Nordisk sind es in Deutschland gut 300 Euro für vier Wochen. In der Anfangsphase, wenn die Dosis langsam gesteigert wird, kosten die Spritzen etwas weniger. In den USA ist das Medikament zwar deutlich teurer, doch auch in Deutschland werden es sich viele nicht leisten können.
Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten bisher nämlich nicht. Das könnte sich allerdings ändern. Immerhin wird Adipositas in Deutschland erst seit 2020 als Erkrankung eingestuft.
Kontroverse um Wegovy-Empfehlung vom Präsidenten der Adipositas-Gesellschaft
Jens Aberle, Präsident der Adipositas-Gesellschaft, forderte im März in einem Artikel der "Bild am Sonntag", dass Krankenkassen die Behandlungskosten für die Abnehmspritze übernehmen sollten, "denn viele Betroffene können sich eine dauerhafte Therapie mit den neuen Mitteln nicht leisten."
Nach Recherchen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" hat Aberle offenbar aber vom Wegovy-Hersteller Novo Nordisk für Vorträge und Beratung Geld erhalten, ohne dies als Interessenskonflikt anzugeben. Aberle spricht demnach von einem "einmaligen Versäumnis". Auch Aberles Fachgesellschaft habe allein im vergangenen Jahr 145.000 Euro von Novo Nordisk erhalten - dagegen nur 80.000 Euro durch Mitgliedsbeiträge.
Wie beurteilen Ärzte Wegovy?
Das Medikament sei aber kein "quick fix", mahnt Matthias Schlensak als Leitender Oberarzt des Adipositas- und Refluxzentrum Niederrhein. "Wir werden klare Indikationen haben für dieses Medikament. Aber was einen Langzeiterfolg angeht bestimmt nur eingebettet in eine Begleitung durch Ernährungsumstellung, Bewegungstherapie und Verhaltensmodifikation." Also: Auch mit der neuen Spritze sollten Betroffene nicht auf Sport und eine Ernährungsumstellung verzichten. In den vergangenen Monaten hatte der Hersteller außerdem immer wieder mit Lieferengpässen zu kämpfen.
Ist Wegovy das einzige Medikament gegen Adipositas auf dem Markt?
Trotzdem halten viele Fachleute das Medikament für einen echten Fortschritt, das die Versorgung von Übergewichtigen verbessern könnte. Menschen mit Adipositas würden von unserem Gesundheitssystem bisher im Stich gelassen, kritisiert die Deutsche AdipositasGesellschaft (DAG). Nur ein Bruchteil bekomme eine angemessene medizinische Behandlung. Viele schafften es nicht, mit Sport und anderer Ernährung genug abzunehmen. Bis dato gab es laut DAG in Deutschland lediglich zwei verfügbare Medikamente, die gegen Fettleibigkeit helfen sollen. Nun kommt mit Wegovy ein drittes hinzu, das in der Regel deutlich wirksamer ist als bisherige Mittel.
Den Herstellern dürften Abnehmspritzen daher hohe Umsätze bringen. Denn auch weltweit wächst die Zahl adipöser Menschen. Den Aktienkurs von Novo Nordisk hat Wegovy bereits stark nach oben getrieben. Geschäftlich betrachtet sei der Bereich Adipositas "bislang kaum erschlossen und ein ausgesprochener Wachstumsmarkt", schreibt der Vermögensverwalter DJE Kapital. Hohe Umsätze dürften die Medikamente auch deshalb bringen, weil man sie nach bisheriger Datenlage bei den meisten Betroffenen dauerhaft spritzen muss.
Werden weitere Medikamente entwickelt?
In Zukunft dürfte es mehr und besser wirksame Medikamente gegen Fettleibigkeit geben. "In der Entwicklungspipeline der Hersteller sind weitere Produkte der gleichen Wirkstoffklasse, bei denen man noch mehr Körpergewicht verlieren kann", sagt Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein. Novo Nordisk muss künftig also wahrscheinlich mit Herstellern von anderen, möglicherweise wirksameren Abnehmmedikamenten konkurrieren.
Entscheidend wird auch, wie viel Gewicht man künftig mit neuen Abnehmspritzen verlieren kann- und bei welchen Nebenwirkungen. Bei besonders starkem Übergewicht und erheblichen Begleiterkrankungen wird bisher neben Bewegung und einer Ernährungsumstellung eine Magen-OP empfohlen. Damit können Betroffene in der Regel deutlich mehr Gewicht verlieren als mit einer Adipositas-Spritze. Viele schrecken aber davor zurück, sich operieren zu lassen. Im Vergleich zu anderen EU-Ländern hinkt Deutschland bei der Zahl der OPs deutlich hinterher.
Über dieses Thema haben wir auch in der Aktuellen Stunde am 17.07.2023 im WDR Fernsehen berichtet.