Sie hätten Schlimmes befürchtet, sagen einige Besucher, als sie am Donnerstagabend die Kirche Sankt Heribert im Kölner Stadtteil Deutz verlassen. Die Stimmung in dem Viertel sei so aufgeheizt, dass es bereits "körperliche Auseinandersetzungen" gegeben habe. In der Kirche ging es dagegen sachlich zu.
Bezirksbürgermeister Andreas Hupke hatte die Bürger des Viertels zur Diskussion über den Verkehrsversuch auf der zentralen Einkaufsstraße Deutzer Freiheit geladen. Die Straße ist seit Juni Fußgängerzone, versuchsweise für ein Jahr.
Geschäftsleute gegen Fußgängerzone Deutzer Freiheit
Seit Wochen machen Geschäftsleute und Anwohner Front gegen den Verkehrsversuch. Sie wollen, dass die Kölner Stadtverwaltung das Autofahrverbot auf der Deutzer Freiheit sofort aufhebt. Händler und Handwerker sehen sich in ihrer Existenz bedroht, weil ohne Autoverkehr die Kunden ausblieben und die Umsätze drastisch zurückgingen.
In sozialen Netzwerken werden die Befürworter des Verkehrsversuchs von den Gegnern scharf attackiert. "Auf der Straße gibt es Beleidigungen und Begegnungen, bei denen die Emotionen hochgehen", berichten Anwohner, die mit ihrem Namen nicht gerne in die Medien möchten.
Diskussionsrunde zur Deutzer Freiheit: Gemischte Gefühle
Zum Auftakt der Bürgerversammlung in der Kirche Sankt Heribert bittet Bezirksbürgermeister Hupke die etwa 200 Bürger, die seiner Einladung zur Diskussion gefolgt waren, um einen respektvollen Umgang miteinander.
Die Deutzer Freiheit bleibt bis mindestens Juni 2023 autofrei.
Das wirkt offenbar. Die Deutzerinnen und Deutzer lauschen in den Kirchenbänken der Kritik, dem Lob, den Fragen und Bedenken ihrer Nachbarinnen und Nachbarn aus dem Viertel.
Eine jüngere Frau sagt, die Sperrung der Straße für Autos bedeute für sie mehr Lebensqualität. Es gäbe mehr Platz zum Verweilen, weniger Abgase und es sei ein wichtiger Schritt gegen die Klimakrise, das Auto zurückzudrängen.
Der nächste Redner ist ein älterer Mann. Er sagt, für ihn bedeute die Sperrung der Straße weniger Lebensqualität, weil er nicht mehr mit dem Auto vor den Supermarkt fahren und dort seinen wöchentlichen Großeinkauf machen könne.
60 Prozent für die Fußgängerzone, 40 Prozent dagegen
Schon nach den ersten Redebeiträgen wird deutlich: Die Menschen in dem Stadtteil sind in der Frage, ob die wichtigste Einkaufsstraße in dem Viertel für den Autoverkehr gesperrt bleiben soll, gespalten.
Eine Befragung der Universität Bochum unter mehr als 2000 Anwohnern hat nach Angaben der Kölner Stadtverwaltung ergeben, dass 60 Prozent der die Umwandlung der Straße in eine Fußgängerzone begrüßen und 40 Prozent dagegen seien.
Die Interessengemeinschaft Deutz, ein Zusammenschluss von Händlern und Handwerkern, will gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer und der Handwerkskammer jetzt herausfinden, welche Ursache die Umsatzeinbußen einzelner Geschäftsleute haben.
Autofahrer ignorieren Verbot, Radfahrer fahren rücksichtslos
Bei der Diskussion in der Kirche Sankt Heribert entzündet sich viel Kritik daran, dass die Stadtverwaltung den Autoverkehr nicht konsequenter von der Straße verbanne.
Der Andrang in der Kirche Sankt Heribert war groß.
Anwohner berichten, dass häufig Autos durch die Fußgängerzone fahren und dort trotz Verbots auch parken. Gleichzeitig betrachteten Radfahrer die Straße jetzt als ihr Revier.
Dass sie in der Fußgängerzone auf Fußgänger Rücksicht nehmen und nur langsam fahren dürfen, sei vielen nicht bewusst. "Deshalb kommt auf der Deutzer Freiheit auch gar nicht das Gefühl auf, dass hier nur eine Fußgängerzone ist", sagt eine Anwohnerin. "Da muss die Stadt mehr tun."
Idee der autofreien Deutzer Freiheit stammt von Anwohnern
Die Idee, die Deutzer Freiheit in eine Fußgängerzone umzuwandeln, kam aber nicht von der Stadtverwaltung, sondern von Bürgern und Geschäftsleuten aus dem Viertel.
Sie hatten 2017 die Initiative "Deutz autofrei" gegründet und seitdem für die Fußgängerzone auf der Deutzer Freiheit geworben. Die Kölner Stadtverwaltung hat die Idee der Bürger schließlich umgesetzt.
In der Kirche Sankt Heribert fordert auch eine Vertreterin der Initiative Nachbesserungen. Es brauche Poller, um die Einfahrt von Autos in die Fußgängerzone zu verhindern. Radfahrer sollen durch Hindernisse auf der Fahrbahn gebremst werden. Und die Fußgängerzone müsse durch Sitzgelegenheiten und andere Gestaltungselemente aufgewertet werden.
Mehrheit glaubt an autofreie Deutzer Freiheit
Während der Diskussion machen sich Mitarbeiter der Stadtverwaltung viele Notizen. Christian Dörkes vom Amt für nachhaltige Mobilitätsentwicklung sagt schließlich zu, dass sich sein Amt um diese Punkte kümmern werde.
Zurzeit laufe die Auswertung von Befragungen. Über die Ergebnisse werde die Verwaltung mit den Bezirksvertretern und den Vertretern der Geschäftsleute beraten.
Offenbar gibt es an diesem Abend in der Kirche Sankt Heribert eine Mehrheit, die daran glaubt, dass sich Schwächen im Verkehrsversuch beheben lassen. Forderungen nach dem sofortigen Ende der Fußgängerzone tragen an diesem Abend nur wenige laut vor.
Über das Thema berichtete die WDR Lokalzeit am 03.11.2022 auch im WDR Fernsehen.