Mehr als 700 Menschen sind am Samstag von der Innenstadt zu dem ausgebrannten Haus im Stadtteil Höhscheid gezogen, um der Opfer des mutmaßlichen Brandanschlags zu gedenken. In der Nacht auf Montag war im Dachgeschoss eine muslimische Familie gestorben - die 28 und 29 Jahre alten bulgarischen Eltern sowie ihre drei Jahre und fünf Monate alten Kinder. Acht Menschen wurden zudem verletzt, darunter eine weitere bulgarische Familie - Vater, Mutter und Kind -, die nach einem Sprung aus dem Fenster noch auf der Intensivstation liegen.
Teilnehmer des Marsches fordern Gerechtigkeit
Bedrückende Stille, dann skandieren die Teilnehmer „Adalet“, türkisch für Gerechtigkeit. Viele haben Fotos der Toten dabei. Bulgarische Fahnen werden geschwenkt, weil die Familie türkischer Abstammung ursprünglich aus Bulgarien kam. Aber ansonsten ist man der Bitte der Angehörigen nachgekommen, auf politische Botschaften zu verzichten.
Bei vielen Teilnehmern schwingt mit, dass Rassismus hinter der Brandstiftung stecken könnte: Iglat Karadjow und Giorgio Philippow, Teilnehmer des Trauermarschs, sagen, es wäre ein Anschlag gegen alle gewesen. Aber sie als Menschen mit Migrationshintergrund hätten derzeit Angst, erlebten immer wieder Anfeindungen wegen ihrer Abstammung. Auch sie gehen davon aus, dass ein rassistisch motivierter Anschlag hinter dem gelegten Feuer steckt.
Ermittlungen in alle Richtungen
Diesen Verdacht hatten auch schon Migrantenvertreter aus dem Landesintegrationsrat in NRW geäußert: "Leider müssen wir davon ausgehen, dass hinter dem feigen Anschlag rassistische Hintergründe stecken."
Die Veranstalter einer Trauerkundgebung mit rund 200 Teilnehmern am Donnerstagabend hatten Parallelen zu einem rassistisch motivierten Brandanschlag von 1993 gezogen. Damals setzten vier junge Männer aus der Neonazi-Szene in Solingen das Haus der türkischstämmigen Familie Genç in Brand. Zwei Frauen und drei Mädchen im Alter von 4 bis 27 Jahren starben.
Die ermittelnde Staatsanwaltschaft spricht davon, dass in alle Richtungen ermittelt werde, somit auch wegen eines fremdenfeindlichen Hintergrunds. Vor diesem Hintergrund hat Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach seine Hoffnung bekräftigt, dass der oder die Täter schnell gefasst werden, damit die Angehörigen und die Stadt zur Ruhe kommen.
Nach Polizeiangaben beteiligten sich am Samstag etwa 600 Menschen an dem Trauerzug, weitere rund 120 hielten eine Mahnwache an dem ausgebrannten Haus. Mitveranstalter schätzten die Gesamtteilnehmerzahl auf mehr als 1000.
Tat im "zwischenmenschlichen Bereich"?
Ein vorläufig festgenommener Mann war am Karfreitag nach längerer Vernehmung wieder entlassen worden, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Sein Alibi sei überprüft und bestätigt worden. Es bestehe "kein dringender Tatverdacht".
Dem WDR hatte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft zuvor gesagt, es handele sich um eine Tat im "zwischenmenschlichen Bereich". Was genau das bedeutet, blieb unklar. Es habe eine stundenlange Zeugenvernehmung gegeben, die Hinweise auf das Motiv gegeben habe.
Bestätigt hat die Staatsanwaltschaft, dass es in dem Haus bereits einmal gebrannt hatte. Ein Feuer aus dem Jahr 2022 sei Teil der Bewertungen. Und am Mittwoch hatte sie bereits die Ergebnisse eines vorläufigen Gutachtens vorgelegt. Demnach gehen die Ermittler von vorsätzlicher Brandstiftung aus. In dem hölzernen Treppenhaus seien deutlich Reste eines Brandbeschleunigers nachgewiesen worden. Ermittelt wird mit dem Vorwurf des Mordes beziehungsweise versuchten Mordes - und das "in alle Richtungen".
Transparenzhinweis: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir geschrieben, dass auch Ministerpräsident Hendrik Wüst laut Staatsanwaltschaft Wuppertal an der Trauerkundgebung teilnehmen werde. Diese Information war nicht korrekt. Eine Teilnahme von Ministerpräsident Hendrik Wüst an der geplanten Kundgebung in Solingen war nicht geplant. Der Staatskanzlei liegt keine Einladung vor. Die betreffende Stelle im Artikel haben wir korrigiert.
Unsere Quellen:
- WDR-Reporter vor Ort
- Nachrichtenagentur epd
- Nachrichtenagentur dpa
- Staatsanwaltschaft Wuppertal
- Einladung zur Trauerkundgebung
- Ditib Köln
- Staatskanzlei Düsseldorf