Es gibt Sätze, die sagen in bestimmten Situationen mehr als das, was gesprochen wird. "Ich weiß, wo du wohnst" ist einer davon. Wenn ein Politiker eine Mail bekommt mit diesem Satz, dann ist das in der Regel eine Anfeindung, eine Drohung. Christian Erhardt-Maciejewski ist Chefredakteur von "Kommunal", einem Magazin für Bürgermeister. Er steht mit vielen Politikerinnen und Politikern im Kontakt. So was sei für sie schon lange Alltag, sagt Erhardt-Maciejewski im Interview mit dem WDR.
Was in den vergangenen Tagen passiert ist, geht über eine Drohung hinaus - aus Drohungen wurden Taten:
- In Dresden schlugen vier Unbekannte auf den sächsischen SPD-Politiker Matthias Ecke ein. Er war gerade dabei, Wahlplakaten für die SPD aufzuhängen. Zumindest einer der Tatverdächtigen wird dem rechten Spektrum zugeordnet.
- In Essen wurden die Grünen-Politiker Kai Gehring und Rolf Fliß am Donnerstagabend beleidigt. Fliß bekam außerdem einen Schlag ins Gesicht.
- In Nordhorn wurde der AfD-Landtagsabgeordnete Holger Kühnlenz an einem Infostand zunächst mit Eiern beworfen worden und später ins Gesicht geschlagen.
Nach diesen Angriffen wird viel diskutiert. Wie können Politiker und Wahlkampfhelfer besser geschützt werden? Was läuft in unserer Gesellschaft schief? Welche Rolle spielt Hass im Netz? Darum geht es heute auch in Berlin. Die Innenminister von Bund und Ländern sprechen in einer Sondersitzung über die zunehmende Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker.
Faeser für, Reul gegen mehr Polizeipräsenz
Bundesinnenministerin Faeser will zum Schutz mehr Polizisten einsetzen. Notwendig seien "mehr sichtbare Polizeipräsenz vor Ort" und gegen die Täter "schnelle und konsequente Verfahren und Strafen". NRW-Innenminister Herbert Reul sagt: Die Polizei müsse mehr aufpassen, aber jeden Politiker beobachten, das gehe nicht. Es gebe eine klare Regel: Wenn es ein Bedrohungspotenzial gebe, dann erhielten die Betroffenen Schutz durch die Polizei. Aber generell mehr Polizei? Das will er nicht, erklärte der CDU-Politiker am Montagmorgen im WDR. "Eine Gesellschaft, in der Politiker mit Polizisten herumlaufen, man keine Informationsstände mehr machen kann und man sich nicht mehr traut, auf der Straße Leute anzusprechen - das kann es nicht sein. Das dürfen wir nicht zulassen."
"Kommunal"-Chefredakteur Erhardt-Maciejewski sieht das anders. Schutz könne gar nicht anders laufen als durch die Polizei. Er sei froh, dass Bundesinnenministerin Faeser heute Abend zum Gipfel einlädt - dann folgt ein Aber. "Wenn Frau Faeser aber gleichzeitig allein in diesem Jahr bei der Bundespolizei 500 Millionen Euro an Budget einspart, dann frage ich mich, wie sie denn tatsächlich die Kommunalpolitiker schützen will?" Gewalttäter müssten wissen, dass Taten verfolgt werden und am Ende eine Strafe folgt. Dafür brauche es Personal.
Fliß fordert breite Debatte
Der von Passanten attackierte Grünen-Politiker Fliß setzt derweil auf eine breite Debatte über Respekt vor dem Ehrenamt statt auf Polizeischutz. "So viele Polizeibeamte gibt es gar nicht, dass man jeden schützen könnte", sagte er am Montag. "In meinen Augen ist das auch ein Angriff gegen Menschen, die sich ehrenamtlich für dieses Gemeinwesen interessieren."
Es brauche einen "viel tieferen Diskurs in Schule, Elternhäusern und an allen Orten, wo Menschen zusammenkommen und sich noch füreinander interessierten", so Fliß weiter.
"Haltungen in der Gesellschaft ändern"
Auch NRW-Innenminister Reul sagt, die Haltung in der Gesellschaft müsse sich ändern - etwa was die Einstellung zu Gewalt angehe, aber auch in Bezug auf Kommunikation im Internet. Im Netz könne man unbestraft alle möglichen Beleidigungen aussprechen. Man bekomme dafür sogar Tausende Likes. Irgendwann "rastet dann einer aus" und mache aus Worten Taten, sagt Reul. Dazu hat Peter Imbusch, Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie an der Bergischen Universität Wuppertal, auch geforscht. Er sagt, blinde Wut schlage immer wieder auch in Gewalt um. Opfer könne im Grunde so gut wie jeder werden, "der sich politisch engagiert und damit etwa durch seine Politik auch angreifbar macht". Gefahr gehe vor allem von jungen Menschen mit klaren Feinbildern aus dem rechten Spektrum aus, wie man jetzt im Fall des Dresdner SPD-Politikers Ecke sehen könne.
Die Politiker und Wahlkampfhelferinnen, die in diesen Tagen unterwegs sind und Plakate kleben, brauchen derweil kurzfristig eine Lösung. Denn die Europwahl steht vor der Tür. Manche sagen aufgrund der zunehmenden Gewalt: "Wir gehen nie allein".
"Kommunal"-Chefredakteur Erhardt-Maciejewski hat derweil noch einen Vorschlag. In Thüringen, erzählt er, gebe es für Kommunalpolitiker mittlerweile eine eigene Hotline der Polizei. "Wenn sie diese Nummer anrufen, werden sie sofort an die nächste Leitstelle weitergeleitet und bekommen direkt Hilfe." Das wünsche er sich deutschlandweit.
Unsere Quellen
- Interview mit NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) bei WDR 2
- Interview mit "Kommunal"-Chefredakteur Christian Erhardt-Maciejewski bei WDR 5
- Nachrichtenagentur dpa