Wie wird die Niederlande mit einer rechten Koalition?
02:52 Min.. Verfügbar bis 17.05.2026.
Rechte Koalition in den Niederlanden: Was kommt da auf uns zu?
Stand: 17.05.2024, 21:19 Uhr
Eine schärfere Asylpolitik und mehr Atomkraftwerke - die neue niederländische Regierung mit Rechtspopulist Geert Wilders hat teils drastische Pläne. Mit welchen Folgen für NRW?
Von Jörn Seidel
"Die Sonne wird wieder scheinen in den Niederlanden", versprach Geert Wilders am Donnerstag bei der Vorstellung einer Koalitionsvereinbarung der neuen rechten Regierung der Niederlande. Noch ist sie nicht im Amt. Noch sind die Posten nicht vergeben. Aber ihre Pläne dürften schon jetzt so manche verunsichern - insbesondere bei den direkten Nachbarn in NRW. Wie berechtigt sind die Sorgen? Fragen und Antworten.
Welche Folgen könnte die neue Asylpolitik für Deutschland haben?
Man plane "die strengste Asyl-Zulassungsregelung und das umfassendste Migrations-Kontrollpaket aller Zeiten", heißt es in der Koalitionsvereinbarung.
"Nach dieser Ankündigung werden sich viele Menschen, denen in den Niederlanden die Abschiebung droht, jetzt auf den Weg nach Deutschland machen", sagt der Vorsitzende der DPolG-Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, dem WDR. Hier würden sie dann einen neuen Asylantrag stellen. Deshalb sollte man die Präsenz der Bundespolizei an der deutsch-niederländischen Grenze in NRW und Niedersachsen "dringend verstärken", meint er.
WDR-Reporter Ludger Kazmierczak
Natürlich gebe es in Deutschland Sorgen, dass mit einer deutlich verschärften Asyl- und Zuwanderungspolitik in den Niederlanden Flüchtlinge von dort hierher kommen könnten, sagt auch WDR-Reporter Ludger Kazmierczak, langjähriger Berichterstatter über die Niederlande. Er schränkt allerdings ein: Das müssten Wilders und seine Koalitionäre "erst mal in Brüssel durchsetzen".
Wilders sieht das ein wenig anders: Allein die Ankündigung der Maßnahmen werde viele Menschen davon abhalten, in die Niederlande zu kommen, sagte er.
Werden die Niederlande aus der EU-Migrationspolitik aussteigen?
Die Koalition will auch "so bald wie möglich" eine Ausstiegsklausel aus der europäischen Migrationspolitik für die Niederlande erwirken, heißt es in der Vereinbarung. Kazmierczak hält das für "Sprüche, die an der Realität scheitern werden". Das liegt zum einen daran, dass eine solche Ausstiegsklausel in der EU kompliziert zu vereinbaren ist.
Zum anderen ist Kazmierczak überzeugt, dass die Koalition zerbrechen würde, wenn Wilders auf allzu europafeindliche Forderungen bestehen sollte.
Eine solche Politik sei mindestens mit zwei der vier Koalitionspartner nicht zu machen, nämlich der rechtsliberalen VVD des bisherigen Premiers Mark Rutte und mit der rechtskonservativen NSC von Pieter Omtzig. Mittlerweile habe Wilders auch seine Forderung aufgegeben, dass die Niederlande aus der EU aussteigen sollen, so Kazmierczak.
Politikwissenschaftler Emanuel Richter, der unter anderem zu Europäischer Integration forscht, ist überzeugt:
Politologe Emanuel Richter
"Das heißt also, es gibt ja eigentlich die verschärfte Migrationspolitik in der EU schon. Und Wilders und seine Koalitionspartner wollen da noch mal eins draufsetzen, gewissermaßen. Und das noch erheblich verschärfen."
Wie viele neue Atomkraftwerke sollen unweit von NRW entstehen?
Vier neue Kernkraftwerke verspricht die neue Koalition in den Niederlanden. In Deutschland sind die letzten erst im vergangenen Jahr vom Netz gegangen. Wie groß das nukleare Risiko neuer Atomkraftwerke ist, ist umstritten. Sicher ist: Einigen Menschen verschaffen sie ein ungutes Gefühl.
Dass in den Niederlanden neue Kernkraftwerke entstehen sollen, sei aber keine Neuigkeit, erklärt Kazmierczak. Geplant sind zwei neue Anlagen in der Provinz Zeeland. Außerdem sind in der Provinz Limburg nahe der Grenze zu NRW sogenannte Mini-Kernkraftwerke in Planung. Sie alle sind Teil der niederländischen Klimaschutzpläne. Konkrete Angaben zu möglichen weiteren Atomkraftwerken nennt die neue Koalition in ihrer Vereinbarung nicht.
Wird das Tempolimit auf 130 angehoben?
Das soll zumindest "soweit möglich" geschehen, heißt es in der Vereinbarung. Das dürfte so manche Autofahrer aus Deutschland erfreuen. Denn derzeit gilt auf den niederländischen Autobahnen tagsüber eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 Kilometern pro Stunde.
Grund dafür ist, dass die frühere Regierung Rutte durch ein niederländisches Urteil gezwungen war, die Stickstoff-Werte in der Luft aus Gesundheitsgründen zu reduzieren. Statt Einschränkungen für das Baugewerbe kam es zum Tempolimit. "Wo die neue Koalition künftig den Stickstoff-Ausstoß reduzieren will, erklärt sie bislang nicht", sagt WDR-Reporter Kazmierczak.
Was betrifft die Deutschen sonst noch unmittelbar?
Es gebe durchaus Vorhaben der neuen Koalition, "die vielleicht auch Mut machen", sagt Politikwissenschaftler Markus Wilp dem WDR. "Beispielsweise will man die Verkehrsinfrastruktur zu Belgien und zu Deutschland ausweiten", so der Geschäftsführer des Zentrums für Niederlande-Studien an der Uni Münster.
Markus Wilp, Politologe
Wie sich die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und den Niederlanden entwickeln werden, "das wird man erst mal sehen müssen", sagt Wilp. "Das hängt sicherlich auch stark davon ab, welche Personen da letztlich im Vordergrund sein werden."
Politikwissenschaftler Richter ist sich jedenfalls sicher, dass durch die neue Regierung im Austausch beider Länder keine großen Umwälzungen zu erwarten sind.
"Deutschland und die Niederlande sind enge Verbündete", so Kazmierczak weiter. Deutschland sei für die Niederlande mit Abstand der wichtigste Handelspartner. Und die Niederlande seien für Deutschland der wichtigste europäische Handelspartner. "Das wird keiner aufs Spiel setzen wollen."
Unsere Quellen:
- Heiko Teggatz, Vorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft in der Deutschen Polizeigewerkschaft im Interview mizt dem WDR
- Politikwissenschaftler Markus Wilp im Interview mit dem WDR
- WDR-Niederlande-Korrespondent Ludger Kazmierczak
- Politikwissenschaftler Emanuel Richter im Interview mit dem WDR
- Nachrichtenagenturen dpa, Reuters
Über dieses Thema berichtet am 17.05.2024 auch die "Aktuelle Stunde" im WDR Fernsehen.
Hinweis der Redaktion:
In einer früheren Fassung dieses Beitrags wurden Zitate von WDR-Reporter Ludger Kazmierczak versehentlich Politikwissenschaftler Emanuel Richter zugeordnet. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.