Jeder vierte junge Erwachsene armutsgefährdet Aktuelle Stunde 16.01.2025 13:05 Min. UT Verfügbar bis 16.01.2027 WDR Von Sebastian Auer

Armut trifft in Deutschland vor allem junge Menschen

Stand: 16.01.2025, 18:35 Uhr

Armut betrifft in Deutschland vor allem junge Menschen. Was das für sie und das Land bedeutet zeigt der Monitor "Jugendarmut".

Von Lars Faulenbach

Deutschland gilt als reiches Land - eigentlich. Doch auch hier sind - trotz Sozialstaats - viele Menschen von Armut betroffen oder zumindest gefährdet, in die Armut abzurutschen. Die am stärksten betroffene Altersgruppe sind laut des aktuellen Monitors "Jugendarmut" junge Menschen unter 25 Jahren.

Die Armutsgefährdungsquote lag 2023 bei 25 Prozent für 18- bis 24-Jährige und bei rund 21 Prozent für unter 18-Jährige, wie die jüngste Untersuchung der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) ergab. Das bedeutet: Etwa jeder vierte junge Erwachsene muss mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen. 

Studentenarmut in Deutschland WDR Studios NRW 16.01.2025 01:46 Min. Verfügbar bis 16.01.2027 WDR Online

Studie: Armut wird vererbt

Die Ursachen für Jugendarmut sind vielfältig. Aktuelle Entwicklungen wie die Inflation und fehlende Wohnungen tragen dazu bei. Wichtigster Faktor sei aber die Herkunft, erklärt Stefan Ottersbach Präses des BDKJ: "Wir können feststellen, dass das Risiko für Jugendarmut besonders gegeben ist, wenn sie in armen Familien aufwachsen, das heißt: Armut wird vererbt, und ein besonderer Faktor ist die Frage von Bildung." Besonders gefährdet seien außerdem Kinder und Jugendliche von Alleinerziehenden, junge Menschen in Familien mit vielen Geschwistern und mit Migrationshintergrund.

Monitor Jugendarmut | Bildquelle: WDR

Die Corona-Pandemie und die steigende Inflation haben die Situation weiter verschärft. Zwei Drittel der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sorgen sich um ihre finanzielle Zukunft und die ihrer Familien. Zudem erschweren hohe Mieten und Lebenshaltungskosten den Weg in die Selbstständigkeit. Die Mieten sind mittlerweile in vielen deutschen Städten so hoch, dass sich viele Studierende und Azubis keine eigene Unterkunft mehr leisten können. Aktuell lebt jeder zweite Studierende noch bei den Eltern vor 20 Jahren war es bloß jeder Dritte.

Aktuelle Misere am Wohnungsmarkt verschärft die Probleme

Die 22-jährige Josie Hecht weiß, wie schwer es ist, aktuell eine Wohnung zu bekommen. Sie kommt aus Jena, studiert in Köln Gesundheitsökonomie und zahlt mit ihrem Freund 800 Euro für die Wohnung: "Es war wirklich schwer, hier eine Wohnung zu finden. Das erste Semester war ich noch in Jena und bin gependelt und habe für wichtige Termine in Köln im Hostel oder bei Kommilitoninnen gewohnt."

Monitor Jugendarmut | Bildquelle: WDR

Diejenigen Studierenden und Auszubildenden, die wie Josie eine eigene Unterkunft gefunden haben, müssen dafür häufig einen deutlichen größeren Teil ihrer Einkünfte ausgeben, als andere Gruppen der Gesellschaft. Zwei Drittel der Studierenden und die Hälfte der Auszubildenden zahlt mehr als 40 Prozent des Einkommens für die Miete.

Viele können sich teure Mieten nicht leisten

Für manche ist das zuviel, so wie für den mittlerweile 24-Jährigen Armani Darman. Er ist vor zehn Jahren als Minderjähriger nach Deutschland gekommen. Nach dem Schulabschluss hat er eine Ausbidlung als Koch angefangen und hatte eine eigene Wohnung, aber schwierig sie zu halten: "Du bekommst nur 1.600 oder 1.700 Euro netto für den Monat. Und davon musst du die Miete bezahlen, Strom, Gas und deinen Lebensunterhalt. Und wenn du ein Kind hast, musst du auch davon noch den Unterhalt bezahlen." Er hat mehr als die Hälfte für Miete ausgegeben und schließlich die Wohnung und seine Ausbildung verloren. Aktuell ist er wohnungslos.

Das sei nicht nur für die betroffenen Jugendlichen ein Problem, ist Stefan Ottersbach überzeugt: "Wenn nicht ausreichend bezahlbarer Wohnraum für Auszubildende und Studierende zur Verfügung steht, führt das dazu, dass junge Menschen in ihrem Leben nicht die Chancen ergreifen können, die sie ergreifen möchten." Und damit bleibe viel gesellschaftliches Potenzial ungenutzt.

Armut verhindert die Mobilität

Viele Jugendliche und junge Erwachsene hätten nicht die nötigen Mittel, um an die gewünschte Schule, Hochschule oder Ausbildungsstelle zu gelangen. Auch in der Freizeit seien Jugendliche und junge Erwachsene aus prekären Verhältnissen benachteiligt, weil sie keinen Zugang zu einem Auto hätten und sich Bus- und Bahntickets nicht leisten könnten.

Menschen mit einem niedrigen ökonomischen Status sind deswegen deutlich seltener und nur kürzere Strecken unterwegs, als Menschen mit einem höhere Status, wie der Monitor "Jugendarmut" zeigt. Im Schnitt gäben Jugendliche 174 Euro für Mobilität aus, für Bürgergeld-Empfänger seien aber lediglich 50,49 Euro angesetzt. Das reiche nach der Preiserhöhung Anfang des Jahres nicht mal für das Deutschlandticket, beklagen die Autoren der Studie.

Mehr Investitionen in den Nachwuchs gefordert

Die BAG KJS fordert daher gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung von Jugendarmut. Dazu zählen unter anderem eine gesetzlich verankerte Ausbildungsgarantie, die Sicherstellung digitaler Teilhabe und die Einführung einer Kinder- und Jugendgrundsicherung. Außerdem sollte mehr in bezahlbaren Wohnraum investiert werden und Jugendliche bräuchten ein vergünstigtes bundesweites Jugendticket - und gerade im ländlichen Raum bessere ÖPNV-Angebote.

Dafür müsse Politik die Belange von Jugendlichen und jungen Erwachsenen stärker in den Blick nehmen, findet Professor Marcel Fratzscher, Präsident des DIW: "Die Politik schaut nicht auf junge Menschen, weil junge Menschen nicht wählen gehen." Dabei sei es viel effektiver, frühzeitig in die Bildung und Ausbildung junger Menschen zu investieren, als später zu versuchen, etwas zu reparieren: "Ein Euro, den sie in eine 14-Jährige investieren, ist deutlich besser, als den Euro in die selbe Frau zu investieren, wenn sie 24 oder 34 ist."

Quellen:

  • Monitor Jugendarmut BAG JKS
  • Pressekonferenz
  • Interview Stefan Ottersbach
  • Interview Marcel Fratzscher

Über dieses Thema berichtet der WDR am 16.01.2025 auch im Hörfunk, um 18 Uhr im "Tag ums sechs" auf WDR4.