Solidarität für Lindner: Politiker und die Angst vor Angriffen Aktuelle Stunde 10.01.2025 35:49 Min. UT Verfügbar bis 10.01.2027 WDR Von Carsten Upadek

Schaum-Tortenwurf auf Lindner: Vorgeschmack auf den Wahlkampf?

Stand: 10.01.2025, 19:55 Uhr

Nach dem Wurf einer Schaumtorte auf FDP-Chef Lindner ist die Sorge groß, dass es im Wahlkampf zu gewaltsamen Angriffen kommt.

Eine Lokalpolitikerin der Linken hatte Lindner am Donnerstag bei einem Wahlkampf-Termin in Greifswald eine Schaumtorte ins Gesicht geworfen. Der FDP-Chef reagierte souverän auf den Angriff und bemühte sich angesichts der Aufregung im Saal um Deeskalation. Die 34-jährige Angreiferin wurde abgeführt - gegen sie wird wegen Körperverletzung und Beleidigung ermittelt.

Merz sieht zunehmende Gewaltbereitschaft

Zwar wurde Lindner nicht verletzt und konnte seine weiteren öffentlichen Auftritte wahrnehmen. Angesichts der zahlreichen, teilweise extrem brutalen Angriffe auf Politiker in den vergangenen Jahren gibt es die Befürchtung, dass der Tortenwurf nur ein Vorgeschmack auf den kommenden Bundestagswahlkampf sein könnte. Die Bereitschaft zur gewalttätigen politischen Auseinandersetzung scheine in Teilen der Bevölkerung zuzunehmen, erklärte CDU-Chef Friedrich Merz. "Ich hoffe, dass uns das erspart bleibt."

2.790 Angriff in 2023

Die Statistik gibt Merz Recht: Nach Angaben des Bundesinnenministeriums gab es im Jahr 2023 insgesamt 2.790 Angriffe auf Repräsentanten und Mitglieder der im Bundestag vertretenen Parteien - am häufigsten waren Vertreter der Grünen und der AfD betroffen. Offizielle Zahlen für 2024 liegen zwar noch nicht vor. Aber auch im vergangenen Jahr habe es wieder viele Angriffe gegeben, teilte die Bundesregierung auf eine Anfrage des WDR mit.

Einige Beispiele:

  • 4. Januar 2024: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) legt mit einer Fähre in Schlüttsiel in Schleswig-Holstein an. Dort warten bereits Hunderte Demonstranten auf den Vizekanzler. Es kommt zu Ausschreitungen. Habeck muss von der Polizei aus der Gefahrenzone eskortiert werden.
  • 2. Mai 2024: In Essen werden Rolf Fliß und der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring (beide Grüne) von einer Gruppe Unbekannter angegriffen. Beide werden verletzt.
  • 3. Mai 2024: In Dresden wird der sächsische SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Matthias Ecke, beim Aufhängen von Plakaten von vier jungen Männern angegriffen. Ecke wird so schwer verletzt, dass er sich einer Operation unterziehen muss.
  • 4. Mai 2024: Im niedersächsischen Nordhorn wird ein AfD-Landtagsabgeordneter an seinem Infostand angegriffen. Im sächsischen Dresden attackierten am selben Tag eine Frau und ein Mann ebenfalls einen Informationsstand der AfD.
  • 7. Mai 2024: Beim Verlassen einer Bibliothek im Berliner Stadtteil Rudow wird Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) mit einem Beutel geschlagen.

Selbstverteidigungskurse für Wahlkämpfer

Angesichts solcher Vorfälle bieten einige Parteien inzwischen Selbstverteidigungskurse für ihre aktiven Mitglieder an. Außerdem werden Wahlkampfhelfer inzwischen aufgefordert, beim Kleben von Wahlplakaten auf keinen Fall alleine unterwegs zu sein. Die Leipziger Grünen-Politikerin Paula Piechotta hat selbst erlebt, wie schnell die Stimmung auf der Straße eskalieren kann: Vor einigen Jahren sei sie beim Aufstellen eines Plakats in einem Wohngebiet mit Flaschen beworfen worden, erinnert sie sich im Gespräch mit dem WDR. "Wenn Du besonders sensibel bist, machst Du das nicht lange mit."

Man dürfe man den Angriff auf Lindner nicht weglächeln, sagt auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), ein Tortenwurf sei keine Kleinigkeit. "Heute ist es eine Sahnetorte, morgen könnten es Steine sein." Die Situation von Politikern und Politikerinnen sei heute eine andere als noch vor einigen Jahren. Die deutliche Verrohung des politischen Diskurses habe sich im Internet angekündigt und sei mittlerweile auf der Straße angekommen.

Unsere Quellen:

  • Interviews mit Paula Piechotta und Karl Lauterbach
  • Deutsche Presse Agentur
  • Bundesinnenministerium
  • Deutscher Städte und Gemeindebund
  • Deutscher Bundestag

Über dieses Thema berichtet der WDR am 10.01.2025 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde um 18.45 Uhr.