Nach Solingen: Keine Gespräche von Fluchtministerin Paul mit dem BAMF
Stand: 08.11.2024, 06:00 Uhr
Seit Amtsantritt 2022 sprach Josefine Paul nur ein einziges Mal mit der Spitze des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge.
Von Henrik Hübschen
Seit dem Terroranschlag von Solingen steht Fluchtministerin Josefine Paul (Grüne) in der Kritik, weil der tatverdächtige Syrer eigentlich schon 2023 nach Bulgarien abgeschoben werden sollte. Jetzt muss Paul einräumen: Seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2022 hat sie sich nur ein einziges Mal persönlich mit dem Präsidenten des für Abschiebungen in andere EU-Länder wichtigen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ausgetauscht.
Die gescheiterte Abschiebung des Tatverdächtigen von Solingen sei Ausdruck für ein im Grundsatz "dysfunktionales System" - so lautet im Kern die Verteidigungslinie von NRW-Fluchtministerin Josefine Paul gegen Kritik am Handeln der ihr unterstellten Ausländerbehörden. Bei den so genannten "Dublin-Fällen", also Rücküberstellungen von Asylbewerbern in andere EU-Länder, seien zu viele Ebenen beteiligt und die Modalitäten zu kompliziert. Paul wünscht sich deshalb, dass solche Fälle künftig zentral vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) übernommen werden.
Dysfunktionales System oder mangelndes Interesse?
Doch die Opposition gibt sich mit dieser Begründung nicht zufrieden. In den Reihen von SPD und FDP vermutet man vielmehr, die Fluchtministerin habe sich bis zum Anschlag von Solingen gar nicht für das Thema Abschiebungen und Dublin-Überstellungen interessiert.
Dieser Verdacht erhält jetzt neue Nahrung: Auf Anfrage der SPD-Fraktion im Landtag muss Paul einräumen, dass sie dem BAMF in Nürnberg bisher keinen Besuch abgestattet hat und sich seit Amtsantritt 2022 auch nur ein einziges Mal persönlich mit dem Präsidenten der Behörde ausgetauscht hat. Das Schreiben des Ministeriums liegt dem WDR vor. Demnach fand im April 2023 ein digitales Gespräch zum Thema "Sprachförderung geflüchteter Menschen" statt, an dem neben Paul auch NRW-Gesundheitsminister Laumann teilgenommen hat.
Das legt den Verdacht nahe, dass Paul wenig selbst dafür getan hat, das aus ihrer Sicht "dysfunktionale System" zu verbessern.
Ministerium: Regelmäßiger Austausch auf Fachebene
Das Fluchtministerium betont in seiner Antwort aber zugleich, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig im fachlichen Austausch mit dem BAMF seien: "Es bestehen unter anderem Austauschformate wie Arbeitsgruppen, Tagungen und darüber hinaus Kontakt über Telefon und E-Mail."
Lisa Kapteinat, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende
Für die SPD-Fraktion dagegen ist die Sache klar: "Ministerin Paul hat sich seit Beginn ihrer Amtszeit vor zweieinhalb Jahren offenbar so gut wie nicht um Asyl- und Flüchtlingspolitik gekümmert", so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Lisa Kapteinat. Sie bemängelt, dass es selbst nach dem Anschlag vom 23. August 2024 keinen einzigen persönlichen Austausch zwischen Frau Paul und dem BAMF gegeben habe. Kapteinat erinnert zudem daran, dass sich das Fluchtministerium im Anschluss an den Anschlag grundsätzliche Informationen zum Thema "Dublin-Überstellungen" beim BAMF einholen musste.
Abschiebung nach Bulgarien scheiterte
Josefine Paul steht seit dem Anschlag von Solingen unter Druck, weil die geplante Überstellung des Tatverdächtigen im Juni 2023 gescheitert war, obwohl das nach den EU-Dublin-Regeln für das Asylverfahren eigentlich zuständige Bulgarien der Rücküberstellung zugestimmt hatte.
Weil die Behörden nach der gescheiterten Überstellung im Juni keine weiteren Versuche unternahmen, verstrich die dafür vorgesehene sechsmonatige Frist im August 2023 ungenutzt. Deutschland wurde formal zuständig und Issa al H. lebte am Tag des Anschlags als anerkannter Bürgerkriegsflüchtling in einer Unterkunft in Solingen.
Unsere Quellen:
- Antwort des Fluchtministeriums auf Anfrage der SPD
- Stellungnahme SPD-Fraktion
- WDR-Recherchen
Über dieses Thema berichten wir am 08.11.2024 auch im WDR Hörfunk: In den Nachrichten "WDR aktuell" ab 06 Uhr.