Die Mobilitätswende ist wohl die zentrale Herausforderung der Verkehrspolitik. Das nordrhein-westfälische Verkehrsministerium möchte da nun neue Wege ermöglichen – und macht den Radweg für S-Pedelecs frei. Laut einem Erlass von vergangener Woche, der dem WDR vorliegt, können die Städte künftig die schnellen E-Bikes auf Radwegen zulassen. Das Echo dazu ist geteilt.
S-Pedelecs gelten rechtlich nicht als Fahrräder, sondern als Kleinkrafträder. Sie haben einen starken Motor, der erst bei 45 km/h abschaltet. Wie bei einem Moped oder Mofa ist ein Versicherungsschild nötig und es gilt eine Helmpflicht. Und: S-Pedelecs dürfen grundsätzlich nur mit Fahrerlaubnis und nicht auf Radwegen, sondern nur auf der Straße gefahren werden. Eigentlich.
Städte vor Ort entscheiden über Freigabe
Bislang sind die Verkaufszahlen von S-Pedelecs in Deutschland sehr überschaubar. Der ADFC spricht von unter fünf Prozent Marktanteil. Mit dem Erlass möchte das Ministerium von Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) sie nun attraktiver machen. Gerade für Pendler mit längeren Strecken sei das S-Pedelec eine gute Lösung und könne den Wechsel vom Auto auf das Rad erleichtern.
Die finale Entscheidung, ob und welcher Radweg freigegeben wird, liegt bei den Städten vor Ort. Geeignet seien vor allem Wege, bei denen keine Gefahr für Fußgänger bestehe und die breit genug und ausreichend markiert seien. Das gelte für Radwege innerhalb geschlossener Ortschaften in der Regel nicht.
Zusatzschild "S-Pedelecs frei"
Das neue Zusatzschild "S-Pedelecs frei"
Dort, wo die Straßenverkehrsbehörde einen Abschnitt für S-Pedelecs freigeben möchte, wird ein weißes Zusatzschild „S-Pedelecs frei“ montiert. Nur wo das hängt, dürfen die Nutzer wirklich von der Straße auf den Radweg wechseln. Bislang war so ein Zusatzzeichen nur in Baden-Württemberg zulässig. Dort hat die Stadt Tübingen erste Versuche unternommen und Wege freigegeben.
Dort seien seit 2019 rund 50 Kilometer Radwege neu hinzugekommen, heißt es von der Stadt Tübingen. Das Netz für S-Pedelecs sei aber insgesamt größer, da auch bestehende Wege freigegeben wurden. Trotz anfangs großer Bedenken, habe man mit den S-Pedelecs gute Erfahrungen gemacht. Bald soll das Projekt in Tübingen wissenschaftlich ausgewertet werden.
ADFC und FUSS warnen vor Konsequenzen
Ein solches Modellprojekt hätte dem ADFC vorerst ausgereicht. Dass die S-Pedelecs in NRW nun flächendeckend auf Radwege kommen dürften, stößt auf Skepsis. Zwar begrüße man, dass S-Pedelecs künftig teils Landstraßen verlassen dürfen. "S-Pedelecs dürfen aber auf keinen Fall den unmotorisierten Radverkehr verdrängen oder gefährden“, sagt ADFC-Pressesprecherin Stephanie Krone.
Kritik kommt auch vom Fußgängerverband FUSS. Wolfgang Packmohr, Sprecher der Ortsgruppe Essen, befürchtet, dass S-Pedelecs nun einen Boom erleben. Und wo sie einmal auf einzelnen Radwegen legal fahren dürfen, könnten die Fahrer schnell auch das Verbot an anderen Stellen ignorieren – mit einer großen Gefahr für andere Radfahrer und Fußgänger. „Der Umstieg vom Auto auf das Fahrrad darf nicht gleich Geschwindigkeit bedeuten“, mahnt Packmohr.
Kommunalzusammenschluss AGFS begrüßt neue Flexibilität
Zustimmung zur neuen Regelung kommt hingegen von der AGFS, einem Zusammenschluss von NRW-Kommunen, die den Fußgänger- und Radverkehr fördern wollen. Dazu zählen etwa Köln, Bielefeld und der Kreis Steinfurt. In den Städten würde nun das Thema S-Pedelecs intensiver diskutiert.
Radschnellweg Ruhr
Bislang sei aber noch kein Radweg freigegebener Radweg bekannt, so die AGFS. Eine Gefahr für andere Teilnehmer sieht die AGFS nicht. Denn die Freigabe von Radwegen komme grundsätzlich nur dort in Betracht, wo ohnehin kaum Fußgänger unterwegs seien – nämlich außerorts, etwa auf Radschnellwegen, betont die AGFS.
Verkehrspolitiker mahnen Sicherheit für Fußgänger an
Auch die Politik im NRW-Landtag begrüßt die neue Flexibilität, mahnt aber den Schutz der Fußgänger an. FDP-Verkehrspolitiker Christof Rasche hält die Erlaubnis für "zeitgemäß“, erwartet aber keine Schwemme an S-Pedelecs. Die CDU-Fraktion verlangt außerdem eine bundesweite Regelung für S-Pedelecs.
Die größte Oppositionsfraktion im Landtag, die SPD, verweist auf die Zahl der Verkehrstoten. Diese Zahl zu senken, sei oberstes Ziel. Knapp jeder neunte Verkehrstote war vergangenes Jahr in NRW ein Pedelec-Fahrer - Tendenz stark steigend. Wie sich die neue Freiheit für S-Pedelecs auf die Unfallzahlen auswirkt, will SPD-Verkehrspolitikerin Christin-Marie Stamm daher beobachten. Sie fordert von Verkehrsminister Oliver Krischer ein Gesamtkonzept für die Mobilitätswende.
Über dieses Thema berichtet der WDR auch am 27.7.2023 auf WDR 5 in der Sendung Westblick.