Die Europäische Union erschüttert ein Korruptionsskandal. Am Wochenende nahm die Polizei unter anderem Eva Kaili fest, die daraufhin am Dienstag vom EU-Parlament als Vizepräsidentin abgesetzt wurde.
Die Griechin steht unter Verdacht, gegen Schmiergeld die Arbeit des Parlaments zugunsten des Golfstaats Katars beeinflusst zu haben. Kann das wirklich sein? Was ist bislang bekannt in dem Fall? Fragen und Antworten.
Gegen wen wird wegen des Verdachts der Korruption ermittelt?
Die belgische Polizei ermittelt nicht nur gegen Kaili wegen des Verdachts der Korruption. Es gab auch weitere Festnahmen. Und es gab mehrere Durchsuchungen - auch noch am Montag. Bekannt sind diese Fälle:
- Eva Kaili, bis Dienstagmittag eine von 14 Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten des EU-Parlaments, sitzt seit dem Wochenende in Untersuchungshaft. In Kailis Wohnung wurden Medienberichten zufolge Taschen voller Bargeld sichergestellt.
- Antonio Panzeri, ein ehemaliger sozialdemokratischer Europa-Abgeordneter aus Italien, und Kailis italienischer Lebensgefährte, kamen ebenfalls in U-Haft. "Sie werden der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, der Geldwäsche und der Korruption beschuldigt", teilte die Staatsanwaltschaft mit.
- Zwei weitere Festgenommene ließ der Untersuchungsrichter frei.
- Zahlreiche Häuser wurden in den vergangenen Tagen durchsucht. Medienberichten zufolge war auch das von Marc Tarabella dabei, eines Europa-Abgeordneten der belgischen Sozialdemokraten.
Steckt wirklich Katar hinter der mutmaßlichen Bestechung?
Das versucht die belgische Staatsanwaltschaft jetzt genauer zu klären. Sicher ist: Nach Angaben der Behörde verdächtigen Ermittlerinnen und Ermittler schon seit mehreren Monaten einen Golfstaat, "die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen des Europäischen Parlaments zu beeinflussen".
Dazu sollen hohe Geldsummen gezahlt oder teure Geschenke an Entscheidungsträger im Parlament gemacht worden sein. Aus Ermittlerkreisen wurde der Deutschen-Presse-Agentur bestätigt, dass es sich bei dem Golfstaat um WM-Gastgeber Katar handelt.
Schon bei der Fußball-WM hat es offenbar Fälle von Bestechung durch Katar gegeben. Zahlreiche Mitglieder des damaligen FIFA-Exekutivkomitees, das 2010 die WM in den Golfstaat vergeben hatte, sind inzwischen der Korruption überführt. Katar selbst hat den Vorwurf der Bestechung jedoch stets bestritten.
Wie könnte Kaili die Arbeit des EU-Parlaments zugunsten Katars beeinflusst haben?
Auffällig ist: Kaili fiel zuletzt mit einer eher ungewöhnlichen Haltung pro Katar auf.
Beispiel 1: Als das EU-Parlament im November über eine Resolution diskutierte, die die WM in Katar kritisieren sollte, attestierte Kaili dem Land, Vorreiter in Sachen Arbeitsrecht zu sein.
Die WM sei Beweis dafür, "dass Sportdiplomatie einen historischen Wandel in einem Land bewirken kann, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben". Zudem beklagte sie, dass jeder, der mit Katarern spreche, der Korruption verdächtigt werde.
Beispiel 2: Der Innenausschuss des Europaparlaments stimmte Anfang Dezember dafür, die Visa-Regeln für Katar und andere Länder zu erleichtern. Zur Überraschung ihrer Fraktion wählte auch Kaili mit, was so offenbar nicht vorgesehen war. Sie stimmte dafür.
SPD-Parlamentsvize Katarina Barley sagte ZDF-"heute" dazu: Kaili "hat sich ganz nach hinten gesetzt, wo normalerweise nur Mitarbeitende sitzen - weit weg von unserer Fraktion. Man könnte auch sagen: Sie hat sich versteckt." In den ARD-"Tagesthemen" am Montag bezeichnete Barley die Korruptionsvorwürfe als einen "entsetzlichen Vorgang".
Welche Konsequenzen zieht das EU-Parlament?
Seit Dienstagmittag ist Eva Kaili als Vizepräsidentin des EU-Parlaments offiziell abgesetzt. Zuvor war sie schon von ihren Aufgaben entbunden worden. Außerdem suspendierte die sozialdemokratische Fraktion bereits ihre Mitgliedschaft. Kailis Partei, die griechische Pasok-Kinal, schloss sie aus.
Parlamentspräsidentin Roberta Metsola kündigte eine interne Untersuchung an. Kailis mutmaßliche Bestechung bezeichnete sie als Angriff auf die europäische Demokratie.
Das EU-Parlament mit mehr als 700 Abgeordneten positioniert sich gern als starke Stimme im Kampf gegen Korruption. Das betrifft aber eher die Korruption in bestimmten Mitgliedsstaaten und Beitrittskandidaten. Jetzt müssen sich die Abgeordneten verstärkt mit sich selbst auseinandersetzen.
"Man muss sich als Abgeordneter ja auch selbst an die Nase fassen", sagte der EU-Parlamentarier Markus Fernber (CSU) am Dienstag dem WDR. "Ist man in der Lage, solchen Bestechungsversuchen zu widerstehen? Die große Mehrheit von uns ist es, aber es gibt scheinbar ein paar, die es nicht sind."
Der Geschäftsführerin von Transparency International Deutschland, Anna-Maija Mertens, reicht eine bloße Auseinadersetzung nicht. Sie fordert einen Ethikrat, der die Regeln, die sich die EU auferlegt hat, auch kontrolliert. Die EU brauche "eine unabhängige Kontrollinstanz mit ganz klaren Rechten", sagt Mertens im Gespräch mit dem WDR: "Ermittlungsrechten, auch Durchgreif-Rechten und auch Rechten zum Sanktionieren."