Joe Biden tritt doch nicht für eine zweite Amtszeit an: "Ich glaube, es ist im besten Interesse meiner Partei und des Landes, wenn ich mich zurückziehe", erklärte der 81-jährige US-Präsident am Sonntagabend. Er werde sich darauf konzentrieren, seine Pflichten in seiner verbleibenden Amtszeit zu erfüllen. Er kündigte an, sich im Laufe der Woche an die Nation zu wenden, um seine Entscheidung zu erklären.
Als neue Kandidatin schlug Biden seine Stellvertreterin Kamala Harris vor. "Heute möchte ich meine volle Unterstützung und meinen Rückhalt für Kamala als Kandidatin unserer Partei in diesem Jahr bekunden", schrieb er weiter.
Diese Fragen beantworten wir hier:
Wie geht es jetzt weiter?
Offiziell gekürt wird die Kandidatin oder der Kandidat der Demokraten auf dem Nominierungsparteitag vom 19. bis 22. August. Beobachter gehen aber davon aus, dass die Partei sich schon vorher einigen wird, wer Biden ersetzen soll.
Zum Parteitag reisen fast 4.700 Delegierte nach Chicago. 3.896 davon waren nach den Vorwahlen eigentlich verpflichtet, Joe Biden zu wählen. Nach den Parteiregeln kann Biden diese Stimmen nicht einfach so weitergeben. Sein klares Bekenntnis für Harris dürfte jedoch sehr viel Gewicht haben.
Die Demokraten wollen sich allerdings schon vor dem Parteitag im August auf einen Kandidaten festlegen. Dazu will die Partei vorab eine virtuelle Abstimmung abhalten.
Wird jetzt Kamala Harris die Kandidatin?
Die US-Vizepräsidentin Kamala Harris zeichnet sich klar als Kandidatin der Demokraten ab. Die 59-Jährige sagt, sie habe bereits genügend Stimmen der Parteitags-Delegierten für eine Nominierung gesammelt. "Ich bin stolz, heute Abend die breite Unterstützung gesichert zu haben, die notwendig ist, um unsere Parteinominierung zu erhalten", erklärte Harris am Montagabend.
Laut einer Befragung der Nachrichtenagentur Associated Press unter den Delegierten des Nominierungsparteitages haben sich über 2.500 für Harris entschieden. Damit hätte sie deutlich mehr, als sie für die erforderliche Mehrheit benötigen würde.
Insidern zufolge hatten sich die 50 Parteichefs der US-Bundesstaaten in einer Telefonkonferenz am Sonntag bereits geschlossen hinter Harris' Kandidatur gestellt. Öffentlich unterstützen auch viele Abgeordnete und Amtsträger der Demokraten Harris als Präsidentschaftskandidatin, darunter inzwischen auch Nancy Pelosi, die einflussreiche ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses.
Kamala Harris kann sich bereits voll auf die Wahlkampfmaschinerie von Präsident Joe Biden stützen. Das Wahlkampfteam Bidens änderte am Sonntag offiziell seinen Namen zu "Harris for President". Harris kann vermutlich auch auf bereits gesammelte Spenden von Biden zugreifen, weil sie als Vize schon Teil von dessen Wiederwahlkampagne ist.
Ihre mögliche Kandidatur sorgte auch schon für neue Spendengelder: US-Medien berichten von einer regelrechten Spendenwelle nach Bidens Rückzug. Insgesamt sollen innerhalb von 24 Stunden nach Bidens Bekanntmachung über 81 Millionen Dollar an Wahlkampfspenden bei Harris eingegangen sein.
Sollte sie Kandidatin werden, muss sie sich selbst noch einen Vizekandidaten suchen - die Entscheidung darüber, wer das wird, dürfte beim Parteitag bekanntgegeben werden.
Vor Bidens Entscheidung waren auch andere Namen als mögliche Präsidentschaftskandidaten genannt worden, wie zum Beispiel der Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, und die Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer. Bisher hat Harris aber keinen Herausforderer - beide haben bereits ihre Unterstützung für Harris signalisiert. Als erste Frau, als erste Schwarze und als erste Person südasiatischer Abstammung könnte sie mit einem Einzug ins Weiße Haus Geschichte schreiben.
Wer ist Kamala Harris?
Kamala Harris wurde von Joe Biden als erste Frau und Schwarze als US-Vizepräsidentin ernannt. Die 59-Jährige wurde in Oakland im Bundesstaat Kalifornien als Kind von Einwanderern geboren. Ihr Vater stammt aus Jamaika und ihre Mutter aus Indien. Sie ist auch die erste US-Vizepräsidentin mit asiatischen Wurzeln.
Harris wurde die erste Schwarze Bezirksstaatsanwältin von San Francisco und später die erste Justizministerin in Kalifornien. 2017 zog sie für Kalifornien in den US-Senat ein. Dabei erwarb sie sich auch einen Ruf durch ihren harten Befragungsstil bei Anhörungen.
Kurz nachdem Biden seine Unterstützung für Harris bekannt gab teilte sie in einer schriftlichen Stellungnahme mit: "Ich fühle mich geehrt, die Unterstützung des Präsidenten zu haben, und ich habe die Absicht, diese Nominierung zu verdienen und zu gewinnen."
Was bedeutet das für die Republikaner?
Dass nun eine jüngere Schwarze Staatsanwältin gegen den 78-jährigen verurteilten Straftäter und Ex-Präsidenten Trump antritt, dürfte sein Wahlkampf-Team vor einige Herausforderungen stellen - vor allem, da bisher die Angriffe vor allem auf das Alter von Joe Biden gerichtet waren.
Der Zeitpunkt der Entscheidung könnte auch entscheidend sein, sagt Stefan Fröhlich, Professor für Internationale Politik und Politische Ökonomie an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg.
Die republikanische Partei hat bereits begonnen, Werbung gegen die mögliche Biden-Nachfolgerin Harris zu schalten. Kritisiert wird sie vor allem bei der Einwanderungspolitik, einem wichtigen Wahlkampfthema. Dem Sender CNN sagte Trump, Harris sei seiner Ansicht nach leichter zu schlagen als Biden. Im Wahlkampf-Team von Trump hieß es, er wolle sich auf Wechselwähler konzentrieren und ihnen klar machen, dass auch die derzeitige Vizepräsidentin verantwortlich für Probleme mit Einwanderung und steigende Lebenshaltungskosten sei.
Kritik wurde auch schon am Auswahlverfahren der möglichen demokratischen Präsidentschaftskandidatin laut. Einige Konservative haben bereits mit Klagen gedroht. Die Gesetze der Bundesstaaten schreiben jedoch in der Regel nicht vor, wie die Parteien ihre Präsidentschaftskandidaten auswählen.
Ralph C. Freund von den Republicans Abroad Germany sagte im Gespräch mit WDR5 hingegen, dass ein neuer Präsidentschaftskandidat der Demokraten den Republikanern Probleme bereiten könnte. Vor allem bei den Themen Abtreibung und Migration könne Harris im Gegensatz zu Biden sich noch klarer gegen Trump positionieren.
Wie könnte ein Wahlkampf unter Harris aussehen?
Bei einem Besuch in der Wahlkampfzentrale der Demokraten in Wilmington kritisierte Harris Trump scharf, den sie als verurteilten Straftäter bezeichnete. "Ich kenne Typen wie Trump", sagte Harris. Zu den zentralen Punkten ihres Programms gehören die Unterzeichnung von Gesetzen zum Schutz des Rechts auf Abtreibung sowie ein Verbot von Sturmgewehren.
"Wir müssen die Rechte der Frauen schützen und gleichzeitig für mehr Sicherheit in unseren Gemeinden sorgen." Außerdem betonte Harris, dass der Wiederaufbau der amerikanischen Mittelschicht ein zentrales Ziel ihrer Präsidentschaft sei. Am Dienstag soll Harris ihre erste offizielle Wahlkampfveranstaltung in Milwaukee veranstalten.
Wie sind die Chancen von Harris gegen Trump?
Welchen Einfluss Bidens Rückzug auf die Umfragewerte eines möglichen Duells von Harris gegen Trump haben könnte, wird sich noch zeigen. Bisherige Erkenntnisse von Meinungsforschern deuten aber darauf hin, dass Harris' Chancen gar nicht so schlecht sind. In einer Reuters/Ipsos-Umfrage unmittelbar nach dem Attentat auf Trump wurde auch nach der Präferenz bei einem hypothetischen Duell zwischen Harris und dem republikanischen Kandidaten gefragt. Demnach lagen beide bei jeweils 44 Prozent. In der gleichen Umfrage wurde auch nach einer Kandidatur von Biden gefragt. Hier lag Trump mit 43 Prozent vor dem amtierenden Präsidenten mit 41 Prozent.
Der demokratische Parteitagsdelegierte William Quaide zeigte sich am Montag im Gespräch mit WDR 2 zuversichtlich, dass der Wechsel von Biden auf Harris keine negativen Konsquenzen mit sich bringt. Er geht davon aus, dass Harris bei der Präsidentschaftswahl im November jede Stimme erhält, die auch Biden geholt hätte, bei den unentschiedenen Wählern sogar noch mehr.
Politikwissenschaftler Jäger glaubt jedoch, dass die Demokraten mit Harris im Moment noch schlechtere Aussichten haben.
Nach ihm müsse Harris vor allem in den besonders umkämpften Staaten im Nordosten Überzeugungsarbeit leisten, was sie als Kalifornierin vor Herausforderungen stelle. Deswegen sei die Wahl eines passenden Vize-Präsidentschaftskandidaten hier von entscheidender Bedeutung. Problematisch sei auch, dass Harris bei den großen Wahlkampfthemen Einwanderung und Inflation noch kein Profil hätte. Punkten könne sie hingegen beim Thema Abtreibung, "weil das für viele Frauen in den USA momentan sehr wichtig ist und Trump hier überhaupt nichts zu bieten hat", so Jäger.
Kann Biden jetzt noch im Amt bleiben?
Trump äußerte sich umgehend zum Rückzug Joe Bidens aus dem Präsidentschaftswahlkampf. Auf seiner Onlineplattform Truth Social schrieb der 78-Jährige, Biden sei nicht nur ungeeignet als Kandidat, um erneut als Präsident anzutreten, sondern auch unfähig, das Amt weiterhin auszuüben.
Neben Trump erklärten auch andere führende Republikaner, darunter der Sprecher des Repräsentantenhauses Mike Johnson, Biden sei nicht fit genug, um seine Amtszeit zu beenden. Johnson forderte Biden ausdrücklich zum Rücktritt auf.
Die Frage, ob Joe Biden trotz des Rückzugs seiner Kandidatur auch weiterhin Präsident bleiben sollte, sehen laut Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik, auch viele Demokraten kritisch.
Wie sind die Reaktionen in Deutschland?
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb auf der Plattform X, Bidens Entschluss, nicht noch einmal zu kandidieren, verdiene "Anerkennung".
Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) zollte Biden "tiefe Hochachtung", CDU-Chef Friedrich Merz "größten Respekt". Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wurde in Washington von der Nachricht überrascht und sagte: "Die Nachricht von der Entscheidung Joe Bidens hat eine historische Bedeutung." Auch für Deutschland und Europa sei wichtig, dass das jetzt wieder "ein offenes Präsidentschaftsrennen" sei. Der US-Leiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, Knut Dethlefsen, meint, Harris könne kämpfen, könne "Abteilung Attacke" - genau das, was im Wahlkampf gegen Trump jetzt gebraucht werde.
Weitere Informationen finden Sie hier:
Quellen:
- X-Post von Joe Biden
- Nachrichtenagenturen dpa, Reuters
- CNN
- New York Times
- WDR 5 Morgenecho
- WDR 2
- ARD-Studio Washington