WDR: Im Jahr 1996 hat die EU ihre erste Rahmenrichtlinie zur Luftqualität veröffentlicht. In Deutschland wird die Luftqualität stetig besser. Haben wir das der EU zu verdanken?
Marion Wichmann-Fiebig: Nicht direkt. Diese EU-Rahmenrichtlinie hatte noch keine direkten Auswirkungen auf die Luftreinheit. Deutschland hatte schon zuvor Luftgrenzwerte festgelegt. Und es gab Luftreinhaltepläne für die Städte.
In Brüssel haben wir uns damals weniger mit den Ursachen der Luftverschmutzung beschäftigt.
Das begann erst 1999, als Grenzwerte festgelegt wurden: für Kohlenmonoxid, Feinstaub, Stickoxid oder Blei. Das war der Anstoß zu überlegen, wie wir es überhaupt schaffen, diese Grenzwerte einzuhalten.
WDR: Die Grenzwerte waren nicht sofort bindend. Der Feinstaub-Grenzwert gilt seit 2005, der für Stickoxid seit 2010. Warum gibt es beim Stickoxid bis heute Überschreitungen?
Wichmann-Fiebig: Wir haben unterschätzt, dass die Zahl der Dieselfahrzeuge sich so stark erhöhen würde. Aber auch die Automobilindustrie hat sich anders verhalten, als erwartet.
WDR: Was lief beim Feinstaub-Grenzwert besser?
Wichmann-Fiebig: Hier wurde nach technischen Lösungen gesucht. Für Diesel wurden geschlossene Partikelfilter eingeführt. Auch der Gesetzgeber hat ein klares Signal gegeben mit Umweltzonen und Umweltplaketten. Dadurch hat sich etwas bewegt, was sich ohne den EU-Grenzwert nie bewegt hätte.
Hilfreich war auch, dass der ganze EU-Markt plötzlich Partikelfilter benötigte, weil der Grenzwert in der ganzen EU gilt. Ich hatte erwartet, dass es beim Stickoxid ähnlich gut läuft. Leider ist es sehr viel zäher.
WDR: Immer wieder werden Forderungen laut, die EU-Grenzwerte für die Luftreinheit sollten weiter verschärft werden. Wie sehen Sie das?
Wichmann-Fiebig: Der Feinstaub-Grenzwert muss überprüft werden. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt seit langem deutlich schärfere Grenzen. Die EU will alle Grenzwerte zur Luftreinheit einem Check zu unterziehen. Es ist höchste Zeit. Denn wir haben durch Feinstaub eine größere Gesundheitsgefährdung in Deutschland als durch Stickoxid.
WDR: Die EU-Kommission hat 2018 Klage gegen Deutschland und fünf weitere EU-Staaten eingereicht. Glauben Sie, diese Klage wird die Luft sauberer machen?
Wichmann-Fiebig: Eine Klage der EU-Kommission gegen einen Staat ist langwierig. In Deutschland sich gezeigt, dass nationale Klagen auf Einhaltung der Grenzwerte effektiver sind - so wie die Deutsche Umwelthilfe das macht. Aber hätten wir die EU-Grenzwerte nicht, dann könnte die Deutsche Umwelthilfe nicht klagen. Und dann würde sich in Deutschland wohl noch immer niemand über die Luft in unseren Städten sprechen.
Das Gespräch führt Susanna Zdrzalek.