Brennende Autos, geplünderte Geschäfte, verletzte Polizisten und anti-muslimische Parolen – in Großbritannien kam es in den vergangenen Tagen zu rechtsextremen Krawallen. Randalierer hatten Sicherheitskräfte, Unterkünfte für Asylbewerber und Moscheen angegriffen. Autos und Gebäude wurden in Brand gesetzt. Premierminister Keir Starmer drohte mit der vollen Härte des Gesetzes.
Mehrere Länder wie China, Australien und Indien warnen ihre Bürgerinnen und Bürger vor Reisen nach Großbritannien.
Wie ist die Situation aktuell?
Nachdem sich die Polizei auch am Mittwoch erneut auf Randale eingestellt und mit weiteren rechtsextremen Ausschreitungen gerechnet hatte, demonstrierten am Mittwochabend Tausende Menschen landesweit friedlich gegen die anhaltenden Aufmärsche Rechtsradikaler in England.
"Flüchtlinge willkommen" stand auf vielen Plakaten. In Liverpool schirmten Demonstrierende eine Kirche ab, die von Rechtsradikalen als Ziel für weitere Ausschreitung ausgegeben wurde. In der Kirche befindet sich eine Beratungsstelle für Geflüchtete.
Wer ist an den gewalttätigen Ausschreitungen beteiligt?
Als die Krawalle in Southport begannen, war zunächst von extra angereisten Rechtsextremen die Rede. Patrick Hurley, der Labour-Abgeordnete für Southport, sagte der BBC: "Das waren keine Leute aus Southport, sondern trainierte Schläger." Zuletzt in Sunderland waren "aber auch viele maskierte Jugendliche und sogar Familien mit kleinen Kindern" dabei, sagt ARD-Korrespondentin Franziska Hoppen.
Laut der Anti-Rassismus-Organisation "hope not hate" werden die Proteste mittlerweile "breiter und diffuser". Einerseits wird gegen Migration und Muslime protestiert, andererseits drücken die Protestierenden eine generelle Unzufriedenheit aus.
Warum kommt es zu den Ausschreitungen?
Auslöser war ein Messerangriff auf Kinder im nordenglischen Southport vergangene Woche. Bei einem Taylor-Swift-Tanzkurs, einem Ferienkurs für Kinder und Jugendliche, tötete ein Mann drei Mädchen im Alter von sechs, sieben und neun Jahren. Weitere Kinder sowie zwei Erwachsene wurden teils lebensgefährlich verletzt.
Seitdem gibt es in den sozialen Medien Spekulationen über die Identität des Täters. Fälschlicherweise wurde behauptet, er sei ein muslimischer Asylbewerber. Das nehmen Rechtsextremisten zum Anlass, gegen Migration zu protestieren.
Gibt es auch Krawalle von anderer Seite?
In Online-Netzwerken kursieren Videos, die belegen sollen, dass in Großbritannien auch gewaltbereite muslimische Gruppen auf den Straßen seien. Das WDR-Verifikations-Team hat mehrere dieser Videos überprüft.
Die meisten zeigen demnach tatsächlich relativ aktuelle Szenen aus britischen Städten. Dass es in England inzwischen auch Ausschreitungen mutmaßlich muslimischer Menschen gibt, sei deshalb sehr wahrscheinlich. Nach Einschätzung der ARD-Korrespondenten in London handelt es sich dabei um vereinzelte gewalttätige Proteste und Randale.
Es gibt allerdings auch einen Clip, in dem die Einführung der Scharia für das Vereinigte Königreich gefordert wird. Das Video wurde in den vergangenen Tagen bereits mehrere Millionen Mal auf der Plattform X angezeigt. Unser Verifikations-Team hat jedoch herausgefunden, dass es bereits aus dem Jahr 2014 stammt.
Was ist tatsächlich über den Messerangreifer von Southport bekannt?
Die Polizei hat in einer Mitteilung erklärt, dass der 17 Jahre alte Tatverdächtige in Großbritannien geboren wurde. Die Meldungen, er sei Asylbewerber, sind demnach falsch. Seine Eltern stammen aus Ruanda. Das Motiv des Täters sei bislang noch unklar. Das glauben die Ultranationalisten allerdings nicht, sie werfen den Behörden vor, die Öffentlichkeit über die Identität des Messerangreifers zu belügen.
Wer heizt die antimuslimischen Proteste an?
Verschiedene rechte und nationalistische Gruppen rufen zu Protesten auf. Für den in Sunderland in der Nähe einer Moschee hatte beispielsweise Stephen Yaxley-Lennon mobilisiert, besser bekannt unter dem Namen Tommy Robinson, der Gründer der rechtsradikalen English Defence League (EDL).
Robinson soll sich im Ausland aufhalten. Im Netz hat er eine große Reichweite in der rechtsextremen Community. Auf der Plattform X folgen ihm mehr als 900.000 Accounts. Schätzungen zufolge kann der 41-Jährige durch Hetze und Falschinfos Tausende dazu bewegen, auf die Straße zu gehen. Robinson gilt als Großbritanniens bekanntester Rechtsextremist.
Auch der rechtspopulistische Abgeordnete Nigel Farage von der Partei Reform UK spekulierte in einem bei X hochgeladenen Video, dass die Behörden die "Wahrheit vor uns zurückhalten".
Wie reagiert die britische Regierung?
Die Politik will gezielter gegen Leute vorgehen, welche die Proteste im Netz anheizen. Innenministerin Yvette Cooper sagte dem Nachrichtensender Sky News, die Organisation der Krawalle, das Befeuern der Spannungen und die Verbreitung von Falschinformationen seien mithilfe sozialer Medien stark befördert worden.
Premierminister Keir Starmer sprach von "marodierenden Mobs". Die Einsatzkräfte hätten seine volle Unterstützung, um gegen Extremisten vorzugehen, die Polizisten attackierten und versuchten, Hass zu schüren. Die Lage gilt als erste große Prüfung für den neuen Premierminister, der seit einem Monat im Amt ist.
Gibt es juristische Konsequenzen?
Von den mehr als 400 festgenommenen Randalierern wurden bereits etwa 120 angeklagt. Ein Gericht in Liverpool verurteilte drei Männer zu Haftstrafen von 20 Monaten bis drei Jahren.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa
- WDR-Korrespondentin Franziska Hoppen in London
- Britische Polizei