Leicht gemacht hat es Alice Schwarzer in ihrem Leben niemandem, weder anderen noch sich selbst. Deutschlands wohl bekannteste Frauenrechtlerin, von (männlichen) Kritikern gerne als Chef-Emanze geschmäht, feiert am Samstag ihren 80. Geburtstag.
Alice Schwarzer (l.) im Gespräch mit WDR-Moderatorin Anne Gesthuysen
Streitbar ist sie bis heute, wenngleich nicht an ihrem Ehrentag. Den begeht sie "ganz im kleinen Kreis privat". Und diskutiert wird nicht? "An meinem Geburtstagsabend? Das hätte noch gefehlt. Wir essen gut, trinken gut und sind hochvergnügt", sagte sie dem WDR.
Buchautorin und "Emma"-Gründerin
Berühmt wurde die Gründerin der feministischen Zeitschrift "Emma" Mitte der 1970er Jahre mit ihrem Buch "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen". Darin analysierte sie die Sexualität als "Angelpunkt der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern und der Unterdrückung der Frauen". Ihr Fazit fiel später treffend so aus: "Ab jetzt bin ich die geliebte und gehasste Feministin Nummer eins in Deutschland."
"Stern"-Aktion Meilenstein der modernen Frauenbewegung
Als Meilenstein der modernen Frauenbewegung gilt bis heute die von ihr 1971 initiierte Aktion "Wir haben abgetrieben" auf der Titelseite des "Stern", die sie aus Frankreich adaptiert hatte. 374 prominente und nicht prominente Frauen bekundeten in dem Magazin, gegen den Paragrafen 218 verstoßen zu haben - auch wenn das in vielen Fällen gar nicht zutraf.
Kein "dressiertes Mädchen"
Wohl kaum einem Menschen in Deutschland gelingt es bis heute immer wieder, derart zu polarisieren wie Schwarzer. Die einen lieben sie dafür, die anderen hassen sie dafür. Eine klare Meinung zu vertreten habe sie von ihren Großeltern, ihren "sozialen Eltern", vermittelt bekommen: "Die haben einfach vergessen, mich als Mädchen zu dressieren", sagte sie dem WDR. Die Großeltern hätten sie gelobt, wenn sie Mut gehabt und Intelligenz bewiesen hätte.
Im Gegenwind zu Hause
So verwundert es nicht, dass sie bis heute kein Problem damit hat, sich in den Gegenwind zu stellen. Trotz Russlands Angriffskrieg positionierte sie sich gegen deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine. In der politischen Diskussion um das Tragen des islamischen Kopftuchs wurde ihr sogar Rassismus vorgeworfen.
Auch im Transgender-Diskurs machte sie sich mit ihren Aussagen nicht nur Freunde, wie sie dem WDR gegenüber untermauerte: "Menschen, die jenseits aller Geschlechterrollen sind, die gibt es ja nicht. Biologisch bleibt der Körper männlich oder weiblich."
Influencerinnen? Eine Katastrophe
Alice Schwarzer eckte mit ihren Meinungen auch immer wieder bei feministischen Mitstreiterinnen und Frauen jüngerer Generationen an. Ihre Meinung zu Influencerinnen, die Beauty-Tipps geben und gefallen wollen, mag als Beispiel dienen: "In meinen Augen ist das eine Katastrophe. Womit manche wache junge Frau ihren Tag verbringt, diese komischen Bilder guckt und sich erzählen lässt, Konsum ist Glück, Gesichter müssen spurenlos sein - das ist ein Teil des Backlash", sagte sie dem WDR - und meinte damit reaktionäre, rückwärts gewandte Bestrebungen bezüglich gesellschaftlicher Vorstellungen des Frauenbildes.
Zeit des Umbruchs
Allerdings beruft sie sich auch darauf, nicht einzelne Personengruppen, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt zu kritisieren. "Es gibt nie nur den reinen Fortschritt. Wenn es gutgeht, geht es zwei Schritte voran und einen Schritt zurück. Wir leben gerade in einer wahnsinnig interessanten, aber auch wahnsinnig gefährlichen Zeit, einer Zeit des Umbruchs, wo sich alle neu sortieren müssen. Auch die Männer."
Eine Stimme, die sich weiterhin erheben wird
Dass sie sich selbst neu sortieren, gar ihre zuweilen sehr kompromisslose Haltung aufgeben könnte, danach sieht es nicht aus. Im Gegenteil, ihren eigenen Aussagen zufolge wird sie sich bis ans Lebensende treu bleiben: "Ich habe eine Stimme. Und wenn es ernst ist, nutze ich die. Und ob ich 76 oder 80 bin, spielt überhaupt keine Rolle dabei", sagte sie dem WDR.
Unbeirrt auf ihrem Weg
Kritik, auch unter der Gürtellinie, hat sie nie von ihrem Weg abgebracht - nicht einmal, wenn irritierte und verunsicherte Männer ihr Äußeres und das ihrer Mitstreiterinnen ins Visier nahmen: "Ich wusste, dass die stärkste Waffe gegen die Frauenrechtlerinnen immer ist, dass man sagt: Wie sieht die denn aus, die hat doch keinen mitgekriegt, die ist ganz hässlich und so." Augenzwinkernd fügte sie hinzu: "Ich hatte eher damit zu tun, mir die Männer vom Hals zu halten."
Mit dieser Art von Kritik habe man vielmehr immer allen Frauen sagen wollen: "Wenn ihr euch so benehmt, dann seid ihr sehr hässlich, nicht begehrenswert. Und das halten natürlich nur wenige Frauen aus."
Sie hat es ausgehalten. Bis heute. Sie muss halt sagen, was ihrer Meinung nach gesagt werden muss, so lange die Zeit dafür noch da ist. Auf die Frage, ob sie an ein Leben nach dem Tod glaube und wen sie dann möglicherweise noch einmal gerne treffen würde, sagte sie dem WDR: "Niemanden will ich treffen - und ich glaube auch nicht dran."
Anmerkung der Redaktion: Einige Leserinnen und Leser haben nach der Steuerhinterziehung von Alice Schwarzer gefragt. Im Jahr 2014 wurde sie wegen Steuerhinterziehung öffentlich kritisiert. Sie hatte jahrelang ein Schweizer Konto vor den deutschen Steuerbehörden verheimlicht. Sie zeigte sich selbst an, machte den eigenen Fall öffentlich und zahlte 200.000 Euro an Steuern nach. Auch darüber hat der WDR berichtet. Nachzulesen hier: