Ein indonesischer Reisspeicher im Foyer ist das Wahrzeichen des neuen Rautenstrauch-Joest-Museums. Entstanden ist er um 1935, gefertigt aus Bambus und Rotang, konstruiert ohne Nagel und aufwändig verziert von einem renommierten Holzschnitzer. Bis 1984 gehörte er einer Toraja-Familie im Nordosten von Sulawesi. Einer Legende zufolge stammen die Toraja aus Kambodscha. Nach einem Sturm sollen sie auf Sulawesi gestrandet sein und die zerstörten Schiffe als Dächer für ihre Häuser benutzt haben.
Zeugnis traditioneller Baukunst
Einst war der Reis heilig. Die Toraja widmen dem kleinen Korn ein ganzes Haus. Es wird „Vater“ genannt, steht nebem dem Wohnhaus, der „Mutter“, und dient als Versammlungsort. Hier trifft man sich, um gemeinsam zu arbeiten, zu feiern und der Toten zu gedenken. Die Toraja kennen keine Schriftsprache, sie lassen Holzschnitzereien sprechen. Und der Reisspeicher ist ein großer Erzähler: Er berichtet von Fruchtbarkeit, vom Wohlstand der Besitzer und vom Leben nach dem Tod. Es geht um die Natur, das Meer und natürlich den Reis, das heilige Gut, die Währung in einer streng hierarchischen Gesellschaft.
Die Schnitzereien bilden ein kompliziertes Zeichensystem mit strengen Regeln. Es bedarf eines wahren Künstlers für den feinen Schnitt und eines Eingeweihten für die Entschlüsselung. Im Rautenstrauch-Joest-Museum legt der Reisspeicher ein beredtes Zeugnis ab nicht nur von der traditionellen Baukunst, sondern auch von Kultur und Religion der Toraja.
Autorin: Claudia Kuhland