- Sendehinweis: die Story | 9. Oktober 2024, 22.15 - 23.00 Uhr
Es waren ganz besondere Videos auf YouTube, die ab Mai 2021 für Aufsehen in der Türkei sorgten: Sedat Peker, ein landesweit bekannter Krimineller, der jahrelang ein erklärter Gefolgsmann von Präsident Erdogan gewesen war, meldete sich aus seinem Exil in Dubai, mit brisanten Anschuldigungen in Richtung der türkischen Politik. Woche für Woche redete er über Verwicklungen hoher Politiker und Staatsangestellter in kriminelle Machenschaften, über enge Beziehungen zwischen Regierungskreisen und dem organisierten Verbrechen. Was er darstellte, klang unglaublich: Es gebe in der Türkei eine Zusammenarbeit zwischen staatlichen Institutionen und der Mafia! Eine ungeheure Anschuldigung, die eine Staatskrise auslösen könnte, wenn sie belegbar wäre.
Ein Mann sieht sich ein Video von Sedat Peker an, einem verurteilten türkischen Mafia-Boss, dessen Online-Videos über 100 Millionen Mal aufgerufen wurden - in denen er unbestätigte Anschuldigungen gegen hohe türkische Beamte aus dem Umfeld von Präsident Tayyip Erdogan, in einem Café in Istanbul, Türkei 14. Juni, 2021.
Die Videos wurden millionenfach aufgerufen, jede Woche mehr. Es ging aber nicht nur um einzelne Enthüllungen. Peker machte keinen Hehl daraus, dass seine Auftritte auch als Drohung gegenüber seinen früheren Auftraggebern zu verstehen seien. „Ihr werdet von einer Kamera auf einem Stativ besiegt werden“, so kündigte er eines seiner Videos auf Twitter an. Auch der türkische Präsiden Erdogan sollte Gegenstand von Enthüllungen werden. Doch dann verstummte Sedat Pekers Kanal…
Einen Mann elektrisierten die Peker-Videos besonders: Can Dündar, vielfach ausgezeichneter türkischer Journalist und Filmemacher, der seit 2016 im Exil in Deutschland lebt. Zuvor war er in der Türkei festgenommen und inhaftiert worden, nachdem er in der Zeitung Cumhuriyet über Waffengeschäfte zwischen der Erdogan-Regierung und islamistischen Milizen in Syrien berichtet hatte. Noch während er im Gefängnis saß, hatte ihn just Sedat Peker öffentlich mit dem Tod bedroht. Als nach seiner Freilassung tatsächlich ein Attentat auf ihn verübt wurde, ging er nach Deutschland ins Exil. Präsident Erdogan erklärte ihn zum Terroristen und forderte seine Auslieferung. Die Frage, ob es den „tiefen Staat“, also die Zusammenarbeit zwischen Politik und Organisierter Kriminalität, in der Türkei immer noch gibt, zieht sich wie ein roter Faden durch Can Dündars journalistische Arbeit – auch weil sie mehrfach so konkrete Auswirkungen auf sein Leben hatte. Dass Antworten auf seine Fragen jetzt ausgerechnet von einem Mafiaboss kommen könnte, der ihn einst tot sehen wollte, ist bittere Ironie – und Anreiz zugleich.
Can Dündar, Journalist und ehemaliger Chefredakteur der türkischen Wochenzeitung Cumhuriyet, steht bei einem Presserundgang zu Ausstellungen beim Maxim Gorki Theater. Mit der Adaption einer Gefängniszelle im Garten des Gorki-Theaters macht der im Berliner Exil lebende türkische Journalist Can Dündar auf politische Inhaftierungen in seiner Heimat aufmerksam.
Für die ARD Story begibt sich Can Dündar zusammen mit Stella Könemann auf eine filmische Recherche auf den Spuren der Enthüllungsvideos. Sind Pekers Videos mehr als der private Rachefeldzug eines einst mächtigen Kriminellen, der sich verraten fühlt? Sind seine Vorwürfe glaubhaft? Ist die Regierung der Türkei tatsächlich verwoben mit einem Mafiasystem? Diesen Fragen geht der Film nach. Er sammelt dafür akribisch Beweise und verfolgt Aussagen von Insidern – und er macht sich auch auf die Suche nach dem Mann, der all diese Anschuldigungen öffentlich gemacht hat. Sedat Peker.
Ein Film von Can Dündar und Stella Könemann
Redaktion: Nicole Ripperda, Beate Schlanstein, Martin Suckow