- Sendehinweis: Die Story | 21. Februar 2024, 22.15 - 23.00 Uhr | WDR
Vor zwei Jahren, im Februar 2022, begann der russische Angriff auf die gesamte Ukraine. Immer noch wird gekämpft, und auch aktuell überzieht Russland das Nachbarland wieder mit heftigen Angriffen - auch die Hauptstadt Kiew. Der Krieg ging aber schon viel früher los: vor zehn Jahren, als die Menschen in der Hauptstadt auf dem Maidan für eine unabhängige Ukraine kämpften. „Seitdem müssen wir die Freiheit, für die wir uns damals entschieden haben, gegen Russland verteidigen“, sagt Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk. Die Menschenrechtsanwältin ist das Gesicht der ukrainischen Bürgerrechtsbewegung. Sie macht auf der ganzen Welt auf die russischen Kriegsverbrechen aufmerksam, pendelt zwischen Luftalarmen und Gala-Veranstaltungen.
Es ist, als wäre damals, vor zehn Jahren auf dem Maidan, eine neue ukrainische Gesellschaft geboren worden. Auch wenn in den Nachrichten vor allem die letzten zwei Jahre dominiert haben, es sind die letzten zehn, die das Land und die Menschen grundlegend verändert haben. Sie liefern auch die Erklärung für den Kampfeswillen und für die Kraft, die viele Menschen im Land antreibt. Die „Revolution der Würde“ brachte damals Millionen von Menschen zusammen. Viele erlebten erstmals, was es bedeutet, für ein gemeinsames Ziel zu arbeiten. Dieser Gesellschaftsvertrag gilt bis heute.
Während der Proteste auf dem Maidan hat das Volk gezeigt, wer die Macht hat, sagt Julia Maruschewska, 34. Ihr Aufruf 2014 auf dem Maidan gegen korrupte Politiker wurde millionenfach geklickt. Maruschewska wurde zu einem der Gesichter der Revolution. Anders als Matwijtschuk hat sich Maruschewska entschieden, innerhalb der politischen Strukturen gegen Korruption und Vetternwirtschaft zu kämpfen. Nun will sie unter dem neuen Verteidigungsminister das immer wieder in der Kritik stehende Ministerium aufräumen.
Mychajlo Puryschew führte 2014 einen Nachtclub in Mariupol. Der Maidan war für ihn kein Gemeinschaftserlebnis – er sollte das Land spalten, so sah er das damals. Heute sieht er im Maidan den Ursprung für den ukrainischen Unabhängigkeitskampf. Seine Front ist das Ehrenamt. Puryschew hat ein Team an Freiwilligen aufgebaut. Mit inzwischen drei Minibussen fahren sie an heftig umkämpfte Orte der Ukraine, graben Brunnen und versorgen die Menschen mit dem Nötigsten. Puryschew, 42, hatte schon zwei Herzinfarkte und riskiert trotzdem weiter sein Leben.
Chefarzt Serhij Ryschenko erlebt den Kampf schon seit zehn Jahren unmittelbar. Er leitet eine Klinik in Dnipro, im Osten der Ukraine. 2014 hat Ryschenko erstmals im OP gesehen, wie Krieg aussieht, wie er riecht. Oft fühle er sich heute wie an der Front, sagt der Chefarzt. Täglich werden in seinem Krankenhaus Soldaten von der gesamten Front behandelt und dann in andere Krankenhäuser im ganzen Land verlegt. Er ist in den letzten Jahren durch Höhen und Tiefen gegangen – aber zweifelt nicht: „Wir werden nicht aufgeben, für die Zukunft unserer Kinder zu kämpfen, und wenn es unser ganzes Leben dauert.“
Yarmak ist einer der spannendsten Künstler der Ukraine. Der Rapper hat vor zehn Jahren auf einer Bühne auf dem Maidan eine Rede gehalten und dabei den damaligen Präsidenten „gefeuert“. Über die Zeit wechselte er von russischen Raptexten zu ukrainischen. Heute kämpft er als Soldat an der Front. Der Rapper ist Jahrgang 1991 und damit so alt wie der ukrainische Staat seit seiner Unabhängigkeit. Seine künstlerische und persönliche Entwicklung steht beispielhaft für die Identitätsfindung und Politisierung der ukrainischen Zivilgesellschaft.
Für die Story „10 Jahre Krieg – Wie die Ukraine für ihre Freiheit kämpft“ treffen die ARD-Korrespondenten Vassili Golod und Birgit Virnich Menschen, die seit zehn Jahren für die Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der Ukraine kämpfen oder diese Entwicklung zunächst nur beobachtet haben. Die Autoren begleiten diese Menschen im Alltag und blicken mit ihnen anhand von Archivmaterial zurück. Was lässt sich aus der Entwicklung der letzten zehn Jahre lernen? Was bedeutet das die Zukunft der Ukraine? Und: Wie hoch ist der Preis für die Freiheit der Ukraine?
Ein Film von Vassili Golod und Birgit Virnich
Redaktion: Nicole Ripperda und Beate Schlanstein