Der Marktplatz in Warstein ist an diesem Mittag menschenleer. Auch in den umliegenden Straßen suchen Besucher vergeblich nach Passanten, die ihnen den Weg erklären könnten. Wer nie in Warstein war, könnte meinen, hier ginge es immer so ruhig zu – eine verschlafene Kleinstadt im Sauerland eben. Für Winfried Zeller ist die Ruhe eher gespenstisch. Der Warsteiner ist auf dem Weg in seine Stammkneipe, er will ins Sudhaus zum Fußball gucken. "Eigentlich dürfte ich hier gar nicht unterwegs sein", sagt Zeller, "gerade Leute wie ich sind ja gefährdet." Zeller ist 76 Jahre alt und Asthmatiker - "da können diese Legionellen Übles anrichten", weiß er aus der Zeitung. In der hat er auch gelesen, dass er im Moment besser zu Hause bleiben soll, "in geschlossenen Räumen", bis die Keimquelle gefunden ist.
Aber Winfried Zeller will sich nicht einsperren lassen. Nicht von den Keimen und nicht von der Landrätin, die vor den Keimen warnt. 165 Menschen sind seit Mitte August in Warstein an den gefährlichen Legionellen erkrankt, zwei Menschen starben. Während in der Stadt fieberhaft nach der Ursache der Erkrankungswelle gesucht wurde, entschied sich der Kreis Soest für eine ungewöhnliche Maßnahme: Er gab eine Reisewarnung für Warstein heraus, empfahl Besuchern die Kleinstadt zu meiden.
Hotels fehlen 200.000 Besucher
Die Stadt Warstein, die vom Tourismus lebt und Ende August eigentlich ein großes Ballonfahrt-Spektakel ausrichten wollte, traf diese Reisewarnung hart. 200.000 Besucher kommen zur "Montgolfiade" normalerweise in die Stadt. Die Hotels sind dann ausgebucht, die Restaurants bis auf den letzten Platz gefüllt. Auch Winfried Zeller wollte zur Montgolfiade, hatte sich Tickets für eine Ballonfahrt gesichert: "Das ist hier in der Region ein Riesenereignis", erzählt er, "für die Gastwirte ist es ein Drama, dass die jetzt ausfällt."
Schon am Freitagabend hat Zeller in der Kneipe gleich neben der Kirche Fußball geguckt. "Zwei Leute saßen da noch neben mir an der Theke", erzählt er, "sonst ist der Laden freitags immer voll." Während Zeller Richtung Sudhaus läuft, deutet er immer wieder nach links und rechts: "Hier sitzen sonst Leute beim Mittagessen", sagt er, "und hier stehen überall Autos, da finden Sie keinen Parkplatz." Aber nicht nur Besucher, auch die Warsteiner meiden seit ein paar Wochen die Innenstadt, "lieber fahren sie zwanzig Kilometer in die nächste Stadt zum Einkaufen", erzählt Zeller.
Reisewarnung besteht weiterhin
Vor dem Netto-Supermarkt schräg gegenüber des Marktplatzes parken an diesem Mittag nur wenige Autos. Wer hier einkauft, der verstaut schnell die Lebensmittel in seinem Wagen, einen Plausch mit Bekannten vor der dem Laden wagt niemand so recht. Nach wie vor warnt der Kreis Soest vor "vermeidbaren“ Besuchen in Warstein. Bürger sollen sich möglichst viel in geschlossenen Räumen aufhalten. Auch wenn die Erkrankungszahlen in den letzten Tagen nicht mehr gestiegen sind, gibt es noch immer keine Entwarnung in Warstein – noch immer sind Fragen offen: Woher stammen die gefährlichen Keime nun wirklich? Gibt es mehrere Quellen? Wie kann man den Befall stoppen? Das Klärwerk war im Verdacht, nun wurden auch im Abwasser der Brauerei Legionellen gefunden. Ausgerechnet beim Bierhersteller, der die Stadt über ihre Grenzen hinaus bekannt macht und dessen Emblem hier an jeder Kneipe angebracht ist. "Das ist natürlich eine Katastrophe", sagt Zeller, "auch für den Ruf der Stadt."
Schwester an Legionellen erkrankt
In der kleinen Bäckerei gleich hinter dem Supermarkt sitzen an diesem Mittag ein paar ältere Damen bei Kaffee und Kuchen. Ein junger Mann kauft Brötchen und Pflaumenkuchen. "Salmonellen kannte ich, aber Legionellen sagte mir erstmal gar nichts", erzählt die Verkäuferin, eine junge Frau mit dunklen Locken und freundlichem Lächeln. Sie lebt selbst in Warstein - die Erkrankungswelle hat sie sehr nah mit erlebt: Ihre Schwester ist an den Legionellen erkrankt. "Sie war in der LWL-Klinik in Behandlung", erzählt sie, "da hat sie mit anderen viel draußen gesessen – vermutlich stand der Wind schlecht." Sie selbst habe ihre Schwester häufig in der Klinik besucht, erzählt die junge Frau, "da hat man natürlich schon Angst, dass man selbst was abbekommen hat."
Ihrer Schwester gehe es nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt wieder gut, erzählt sie noch, ehe sie sich dem nächsten Kunden zuwendet. "Irgendwie geht der Alltag hier weiter", sagt sie dann noch, "uns bleibt ja gar nichts anderes übrig."