Das umstrittene Leistungsschutzrecht (LSR) für Presseverlage wurde in abgeschwächter Form angenommen. Zwar müssen Internet-Suchmaschinen und automatische Nachrichtensammler wie Google News künftig Lizenzen erwerben, wenn sie umfängliche Pressetexte auf ihren Seiten verwenden wollen. "Einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte" können aber künftig weiterhin lizenzfrei genutzt werden. So haben es Google und Co. auch bisher gehandhabt. Die exakte Länge der Passagen unter den Links wird nicht definiert. Jan Friese ist Wissenschaftsredakteur der WDR 5-Sendung "Leonardo". Seine Schwerpunkte sind unter anderem IT-Themen.
WDR.de: Das umstrittene Leistungsschutzrecht wurde vom Bundestag beschlossen. Worum geht es?
Jan Friese: Es geht wieder einmal um die Frage des Urheberrechts im Internet. Das neue Leistungsschutzrecht bezieht sich aber nicht auf Musik- oder Filminhalte, sondern auf das geschriebene Wort. Durch die kurzfristigen Änderungen hat das Ganze aber fast gar keine Bedeutung mehr für den Internetnutzer. Kurze Textschnipsel können weiterhin kostenfrei ausgespielt werden. Die einzige offene Frage ist noch, wie lang die Anreißer mit dem Verweis auf andere Seitenbetreiber genau sein dürfen. Das müssen Verleger und Betreiber wie Google noch aushandeln. Vielleicht werden die Texte, die unter den Links angezeigt werden, dann zwei oder drei Wörter kürzer.
WDR.de: Das Gesetz wurde erst am Dienstag kurzfristig umformuliert. Was wurde geändert?
Friese: Das ursprüngliche Gesetz war erheblich schärfer und hätte Google massiv getroffen. Die kurzen Textpassagen unter Links wären kostenpflichtig geworden. Google hätte dann mit den Verlegern Lizenzen vereinbaren müssen. Jetzt werden die kurzen Textpassagen explizit erlaubt.
WDR.de: Also bleibt eigentlich alles beim Alten.
Friese: So ist es. Im Grunde hat sich nichts geändert. Ein Urheberrecht für längere Pressetexte gibt es schon lange. Und Google darf weiter die sogenannten Anreißer nutzen.
WDR.de: Nach drei Jahren Arbeit wird das Gesetz wenige Tage vor der Abstimmung ins eigentliche Gegenteil verkehrt. Das riecht nach erfolgreichem Lobbyismus.
Friese: Ja, das riecht danach. Bei den Verhandlungen wurde sicherlich von mehreren Seiten Lobbyismus betrieben – sowohl von Google als auch von manchen Verlegern.
WDR.de: Bei der Verwendung von Pressetexten werden "einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte" erlaubt. Das klingt ziemlich schwammig.
Friese: Das ist es auch und einer der Hauptstreitpunkte, weshalb die Debatte im Bundestag sehr lange und heftig geführt wurde. Das ist ein Spielfeld für Anwälte. Wegen einzelner Wörter wird aber kein Verlag mit Google verhandeln oder klagen. Google kann sich hohe Anwaltskosten leisten.
WDR.de: Wer ist der Gewinner, wer der Verlierer?
Friese: Der Gewinner des LSR ist für mich ganz klar Google. In der ursprünglichen Gesetzesversion hätte Google viel verhandeln müssen und hätte viele Inhalte vermutlich überhaupt nicht mehr verlinkt. Für Google hätte das viele Verluste bedeutet. Die Verleger sind aus meiner Sicht die Verlierer. Sie haben das LSR angestrebt und nichts erreicht. Die Hoffnung auf einen finanziellen Gewinn durch Lizenzen mit Google hat sich vorerst wohl erledigt. Vielleicht haben sie zu viel gewollt.
WDR.de: Alle sprechen immer von Google gegen Verleger. Spielen andere Suchmaschinen keine Rolle?
Friese: Google ist einfach der größte Spieler in der Debatte. Der Konzern hat unter dem Motto "Verteidige Dein Netz" zum Protest aufgerufen. Damit hat sich Google mit dem Internet quasi gleich gestellt. Das Gesetz wurde auch schon "Lex Google" genannt. Google wäre am meisten betroffen gewesen, aber auch andere, wie Yahoo mit seinen Suchmaschinen, die Nachrichten sammeln.
WDR.de: Warum wollten die Verleger das LSR überhaupt? Eigentlich profitieren sie doch davon, wenn in Suchmaschinen auf ihre Nachrichtenseiten verlinkt wird. Die Klickzahlen sollten steigen.
Friese: Das ist auch die Argumentation von Google und vielen Internetaktivisten, darunter Blogger, Piraten und dem Chaos Computer Club. Die Verlage haben einen Mehrwert, weil sie auffindbar im Internet werden. Es sind auch nicht alle Verlage, die das Leistungsschutzrecht gefordert haben. Der Bundesverband ist aber für einen besseren Presseschutz. Wir haben ein Copyright für Musik und für Filminhalte. Für das geschriebene Wort haben wir im Internet noch kein richtiges Urheberrecht, da nur lange Texte von Autoren geschützt sind.
WDR.de: Wie hat die Bundesregierung in der Debatte ausgesehen?
Friese: Aus meiner persönlichen Sicht ist die Bundesregierung der größte Verlierer. In das Gesetz wurde viel Arbeit gesteckt. Drei Jahre wurde darüber diskutiert. Es wechselte zwischen Bundestag und Bundesrat hin und her – alles umsonst. Vielleicht hätte man von Anfang an die Finger davon lassen müssen.
WDR.de: Das Gesetz muss noch durch den Bundesrat. Wie bewerten Sie die Erfolgsaussichten?
Friese: In seiner derzeitigen Fassung wird das LSR noch mal hitzig diskutiert werden. Rot-Grün hat im Bundesrat eine Mehrheit. Die SPD hat schon angekündigt, das Gesetz zu stoppen. SPD und Grüne halten die Formulierungen für zu unpräzise. Die Linke spricht von mehr Verwirrung als Klarheit. Ich glaube nicht, dass das Gesetz am Ende in seiner heutigen Form in Kraft treten wird.
Das Gespräch führte Fabian Wahl.