Der Fall gilt als einer der größten Umweltskandale Deutschlands: 51 Mitarbeiter der inzwischen insolventen Envio Recycling GmbH in Dortmund sollen über Jahre hinweg ungeschützt dem hochgiftigen Kühl- und Isoliermittel PCB ausgesetzt worden sein. Der Anwalt der angeklagten Manager meinte jedoch, dass es bis heute gar nicht erwiesen sei, dass eine erhöhte PCB-Belastung zu den von der Staatsanwaltschaft angenommenen erheblichen Gesundheitsschäden führen würde. Die ehemaligen Arbeiter, aber auch zahlreiche WDR.de-User reagierten empört auf die Äußerungen des Strafverteidigers. Wie PCB ins Blut gelangen kann und wie gefährlich der Stoff ist, erläutert uns WDR-Wissenschaftsredakteurin Ruth Schulz.
WDR.de: Kann man Krankheiten und Gesundheitsbeschwerden tatsächlich so schlecht der Ursache PCB zuordnen, wie gestern im Prozess behauptet?
Ruth Schulz: Es ist immer schwierig nachzuweisen, dass eine Krankheit von PCB verursacht wurde. Es spielen immer mehrere Faktoren eine Rolle. So reagiert jeder Körper anders. Aber man hat das Blut der Envio-Mitarbeiter untersucht und die PCB-Werte scheinen außerordentlich hoch zu sein. Man hat sicherlich auch Vergleichswerte von Menschen, die in einem normal PCB-belasteten Haus gelebt oder gearbeitet haben. Daraus werden die Gutachter ihre Schlüsse ziehen können. Ich denke, man kan schon nachweisen, dass nicht vom Rauchen allein oder von anderen Lebensgewohnheiten so eine Belastung entstehen kann. Das müssen aber die medizinischen Gutachter entscheiden.
Man kann tatsächlich nur die erhöhten PCB-Werte im Blut nachweisen. Wie sich diese Werte dann auf den Körper auswirken, ist durchaus verschieden. Dem einen schlägt das Gift auf die Nieren, während ein anderer Körper sehr viel besser damit klarkommt.
WDR.de: Wodurch können erhöhte PCB-Werte im Blut ausgelöst werden, wenn nicht durch direkten Kontakt mit dem Umweltgift?
Schulz: Man kann auch indirekt mit dem Umweltgift in Kontakt kommen, beispielsweise durch fetthaltige Nahrung. Auch in der Muttermilch sind PCBs enthalten. PCBs sind sehr langlebig und reichern sich in der Nahrungskette an. Der Stoff wurde früher auch als Baumaterial eingesetzt. Es gab einige Gebäude, die so hoch kontaminiert waren, dass sie saniert werden mussten. PCB wird immer eingeatmet oder über die Nahrung aufgenommen. In seltenen Fällen kann es auch über direkten Hautkontakt zu Schäden kommen, aber da muss die Konzentration schon sehr hoch sein.
WDR.de: Einige der ehemaligen Envio-Mitarbeiter klagen über Hautkrankheiten und Störungen des Nervensystems. Sind das erste Anzeichen einer Vergiftung?
Schulz: Das könnte sein. Es hat vor vielen Jahren in Japan einen schweren Unfall gegeben, bei dem PCB freigesetzt und Reisfelder verseucht wurden. Viele Menschen dort haben schwere Hautprobleme bekommen und eine Art Chlorakne entwickelt. PCB-Vergiftungen können mit solchen Hauterkrankungen einhergehen.
WDR.de: Anscheinend haben viele auch Angst vor Depressionen, die durch PCB verursacht werden. Ist das eine Gefahr?
Schulz: Die betroffenen Menschen sind in einer sehr schwierigen Situation. Sie haben zum einen ihre Arbeit verloren, sie haben die Sorge, ob sie gesund bleiben oder in Zukunft krank werden. Sie bangen um ihre Familienangehörigen, die zum Teil auch mit dem PCB in Kontakt kamen, weil sie etwa die PCB-verdreckte Wäsche gewaschen haben. Das ist so eine belastende Situation, dass man durchaus eine Depression entwickeln kann. Ob eine Depression in direktem Zusammenhang mit der PCB-Konzentration im Blut steht, kann man allerdings noch nicht sagen.
WDR.de: Gibt es heute immer noch Gefahren durch PCB-Belastungen?
Schulz: PCB ist seit Ende der 80er Jahre in Deutschland verboten, aber PCBs sind sehr langlebig. Auch Bakterien bauen diesen Stoff nicht ab. Was früher der Vorteil war, dass diese Kühlmittel in den Transformatoren unglaublich lange funktioniert haben, ist heute ein ganz großer Nachteil. PCB ist ein Umweltgift. Es ist in vielen Böden, Geräten und Maschinen enthalten. Und es ist sehr teuer, PCB zu entsorgen. PCB gerät meistens in die Umwelt über die Entsorgung von alten Transformatoren und Maschinen. Neu entsteht es nicht mehr, es ist als eine der zwölf giftigsten Substanzen auf der Welt verboten.
Das Gespräch führte Anke Fricke.