Hauptbeschuldigte sind der Envio-Geschäftsführer und der Betriebsleiter. Die Anklageschrift wirft ihnen das "unerlaubte Betreiben einer Abfallentsorgungsanlage" und den "unerlaubten Umgang mit gefährlichen Stoffen in einem besonders schweren Fall" vor. Einem externen Immissionsschutzbeauftragen und dem ehemaligen Werkstattleiter wird Beihilfe zum "unerlaubten Betreiben einer Abfallentsorgungsanlage" zur Last gelegt. Wie die Staatsanwaltschaft am Freitag (24.06.2011) mitteilte, sei die Anklageschrift bereits Mitte Juni den Verteidigern zugestellt worden.
Taten "zum Zwecke der Gewinnmaximierung"
Ein Jahr hatte die Ermittlungskommission "Staub" ermittelt, 460 Aktenordner mit Unterlagen durchforstet und etwa 1.000 Blutproben von Mitarbeitern und Anwohnern des Werkes genommen. Außerdem ließ die Staatsanwaltschaft mehrere Gutachten zu Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Toxikologie erstellen.
Den Hauptbeschuldigten drohe im Falle einer Verurteilung eine Gefängnisstrafe zwischen einem und zehn Jahren, sagte Ina Holznagel, die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Dortmund. Aus Sicht der Ankläger hat Envio vier Jahre lang unsachgemäß und illegal Transformatoren demontiert, die das hochgiftige PCB enthalten. Das alles sei ohne Genehmigungen der Behörden geschehen, "zum Zwecke der Gewinnmaximierung", wie es in der Anklageschrift heißt.
Wenig Arbeitsschutz, viel Schlamperei
Dabei sei die PCB-Kontamination von Mitarbeitern "billigend in Kauf" genommen worden. Die verwendete Schutzkleidung war laut einem Arbeitsschutzgutachten der Staatsanwaltschaft "in weiten Teilen für den Umgang mit PCB nicht geeignet". Außerdem listet die Anklage weitere Schlampereien der Betreiber auf: Trafos seien teilweise bereits im Freien geöffnet und das PCB-haltige Bindemittel sei ohne funktionierende Absaugvorrichtung entfernt worden. So sei giftiger Staub freigesetzt worden, schreibt die Staatsanwaltschaft.
Der Niederlassung von Envio in Dortmund war vor einem Jahr von den Behörden die Betriebserlaubnis entzogen worden. Bei der unsachgemäßen Demontage der Transformatoren waren mehrere Mitarbeiter und die Umwelt mit dem PCB vergiftet worden. Blutproben hatten bei mehreren Angestellten eine extrem stark erhöhte Belastung mit der Chemikalie ergeben, die als krebserregend gilt.
Juristisches Neuland bei Körperverletzung
Deswegen sehen sich die Angeklagten zudem mit dem Vorwurf der Körperverletzung in 51 Fällen konfrontiert - ein Novum in einem solchen Strafprozess um chemische Giftstoffe. "Vor allem die Körperverletzung ist juristisches Neuland, da gibt es bisher nichts Entsprechendes", sagt Ina Holznagel von der Staatsanwaltschaft Dortmund. Aus Sicht der Ankläger ist der Tatbestand der Körperverletzung schon allein dadurch erfüllt, dass deutlich höhere PCB-Werte in den Körpern der Mitarbeitern gemessen wurden. Ob und wieviele von ihnen später einmal an Krebs erkranken, ist heute jedoch noch völlig offen.
Wohl auch deshalb sieht die Verteidigung diesem Anklagevorwurf gelassen entgegen. Eine konkrete Stellungnahme zur Anklage wollte Elke Werner, die Rechtsanwältin des Geschäftsführers, auf Anfrage von WDR.de nicht abgeben. "Die Erklärung, die wir abzugeben haben, geben wir gegenüber dem Gericht ab", sagte Werner. Sie ließ aber durchblicken, dass sie es für weitgehend ausgeschlossen hält, dass die Argumentation der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Körperverletzung vor Gericht erfolgreich sein wird. Das sei durch Gutachten medizinisch praktisch nicht zu belegen. Nach Ansicht von Verteidigerin Werner ist insgesamt zweifelhaft, dass PCB überhaupt Krebs auslösen kann. Sie stellt deswegen auch den Vorwurf des Vorsatzes in Frage, mit dem Angeklagten aus Sicht der Staatsanwaltschaft gehandelt haben sollen.
Bei Envio war wegen des Brückentags am Freitag (24.06.11) weder die Geschäftsführung noch die Pressestelle für eine Stellungnahme zu erreichen.