Während die Gangster in Mikrofone sprechen, sitzen die völlig verängstigten Geiseln auf dem Rücksitz des Fluchtfahrzeugs. Der damals 31-jährige Plasberg arbeitete damals sowohl als freiberuflicher Reporter für den Radiosender SWF3 als auch als Fernsehmoderator für die Aktuelle Stunde.
WDR.de: 16. August 1988 - was haben Sie an diesem Tag gemacht und wo setzt die Erinnerung an die damaligen Geschehnisse ein?
Frank Plasberg: Ich war im Bergischen Land auf einer Geburtstagsfeier und es waren ziemlich viele Journalisten unter den Geladenen. Deshalb wurde die Feier am Abend kurz unterbrochen, um Tagesthemen zu gucken. Wie ich es in Erinnerung habe, erklärte die Moderatorin relativ umständlich, warum sie die Bilder senden, die sie jetzt gleich senden würden. Dann gab es dieses berühmte Interview mit Rösner vor dem Bus in Bremen zu sehen.
Und wir saßen da, hatten so was bis dahin noch nie im deutschen Fernsehen gesehen und fanden es einfach unglaublich. Aber es war weit weg in Bremen. Ich bin in der Nacht, in der ja der italienische Junge erschossen wurde, noch nach Hause zurück gefahren. Als nächstes erinnere ich mich an den Anruf eines Kollegen am nächsten Morgen, der mir am Telefon sagt: Die Geiselnehmer stehen bei Dir in Köln in der Breite Straße. Noch am Vorabend war alles weit weg und durch diesen Satz "Die sind jetzt bei Dir" war das alles plötzlich erschreckend nah.
Ich hab mir dann mein Aufnahmegerät gegriffen und mich auf meine Vespa geschwungen. "Irgendwie kommst Du da schon ran", habe ich gedacht und stand dann tatsächlich sehr bald in dem Pulk, der das Auto belagerte. Und während die Geiseln hinten im Wagen saßen, begann dann die Reihe der Interviews.
WDR.de: Kamen Ihnen erste Zweifel, als Sie am Tatort in der Breite Straße eintrafen?
Plasberg: Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich große medienethische Bedenken hatte. Das war eine Art Automatismus. Außerdem hatte das Ganze auch eine Friedlichkeit: Es war ein Sommertag, es war warm, da steht der BMW vor der Metzgerei und viele Kollegen machen ihre Interviews - öffentlich-rechtliche Sender genauso wie private Rundfunkstationen. Im Grunde war es eine Art ungewöhnliche Pressekonferenz mit extrem surrealen Zügen.
WDR.de: Und Sie selbst haben die Geiselnehmer auch interviewt?
Plasberg: Ja, ich habe das dann auch mitgemacht. Weil mir aber bewusst war, dass dies schon eine sehr merkwürdige Situation ist, habe ich bei meinem Sender, dem SWF in Baden-Baden, angerufen und gesagt: Setzt bitte zusätzlich einen Redakteur ins Studio - normalerweise hatte dort der Moderator die alleinige journalistische Hoheit. Und sendet es bitte nicht live, sondern zeitversetzt als Aufzeichnung. Dann habe ich mit Rösner das Interview gemacht, der war ja so was wie der "Lautsprecher" dieser kriminellen Combo. Nachdem ich dieses Interview via Telefon aus der Metzgerei nach Baden-Baden überspielt hatte, entschied der Redakteur, es nicht zu senden - im Nachhinein eine richtige Entscheidung. Denn da hat die klassische Aufgabenteilung zwischen Reporter und Redakteur gut funktioniert: Der Reporter muss vieles versuchen, ohne sich und andere zu gefährden. Ob das dann gesendet wird, soll jedoch jemand entscheiden, der nicht selbst in dieser Situation steckt.
Schwerpunkt
Zurück zur Situation in der Breite Straße. Ich stand dann wieder am Auto und bin erst aus diesem Automatismus aufgeschreckt worden, als Rösner plötzlich seine Pistole zückte. Der wollte zwar einfach nur losfahren, war es aber gewohnt, sich mit der Pistole wie andere Leute mit der Kelle freie Fahrt zu verschaffen. Und als er die Waffe aus dem Auto hielt, hab ich einfach Angst bekommen - etwas ganz Natürliches, was ich vorher aber nicht gespürt hatte. Ich weiß, dass das komisch klingt, denn hinten im Auto saßen ja die Geiseln und die hatten schon die ganze Zeit Angst.
WDR.de: Gab es denn von Seiten der Polizei keinerlei Versuch, die Journalisten und die Schaulustigen in Köln aus ihrer lebensgefährlichen Situation hinauszubringen?
Plasberg: Nein. Es war zwar auf Fernsehbildern ein einzelner Mann in zivil zu erkennen, der offensichtlich versuchte, etwas Ordnung in diese chaotische Situation zu bringen. Doch selbst der war nicht, wie zuerst vermutet wurde, ein ziviler Polizeibeamter, sondern der Journalist Udo Röbel. Der war 1988 stellvertretender Chefredakteur des Kölner Express und seine Redaktionsräume waren nur rund 100 Meter entfernt - so fühlte er sich wohl verantwortlich, das ganze ein bisschen "zu ordnen". Später stieg Röbel ja sogar selbst in das Fluchtfahrzeug mit ein, um ein Stück mitzufahren.
WDR.de: Sie blieben in Köln, als sich die Geiselnehmer zum letzten Mal zur Weiterfahrt entschlossen. Wenig später kam es auf der A3 bei Bad Honnef zum blutigen Ende dieser kriminellen Irrfahrt. Wann begann bei Ihnen die kritische Rückschau auf das, was passiert war?
Plasberg: Für mich war dieser letzte Tag des Geiseldramas sehr bizarr: Nach meinem Einsatz als Reporter am Morgen in der Kölner Fußgängerzone musste ich am Abend in Köln zusammen mit Christine Westermann die Aktuelle Stunde moderieren. Und schon an diesem Tag gab es die ersten heiß gestrickten Diskussionen über Fehler der Polizei und Fehler der Presse, so z.B. die Frage, ob die Medien sich nicht eine Selbstverpflichtung auferlegen müssen. Und diese Themen griffen wir im Studio unter anderem mit Innenminister Herbert Schnoor als Studiogast auf. Das Bizarre war, dass ich dabei ja teilweise auch über mich selbst sprechen musste, denn ich war an diesem Tag in einer Zwitterrolle: Morgens erst als Reporter berichtend und abends als Moderator über die Rolle der Medien diskutierend. Das war schon merkwürdig und auch grenzwertig.
WDR.de: Wenn Sie mit dem Abstand von 15 Jahren erneut über Ihre damalige Berichterstattung nachdenken: Würden Sie sich heute genau so verhalten?
Plasberg: Ich glaube nicht, dass es noch mal zu so einer Situation kommen würde. Die Polizei hat aus den Fehlern, die gemacht wurden, gelernt. Sie werden aber "die Medien" niemals unter einen Hut kriegen, denn es wird niemals ein Agreement geben, mit dem solch eine Situation verhindert werden kann. Es wird immer Leute geben, die sich solch einer Vereinbarung widersetzen würden - sei es aus wirtschaftlicher Not oder weil sie mit einem Exklusiv-Foto das große Geschäft wittern. Und wenn der Damm einmal gebrochen ist und zwei machen Interviews, dann sind es ganz schnell drei, vier, fünf, sechs und dann sind es alle. Also ist es Aufgabe der Polizei, so etwas zu verhindern. Ich persönlich würde es nicht mehr so machen. Das hat aber auch was mit dem älter werden zu tun. Ich würde aber nicht sagen, dass ich da als junger Reporter etwas falsch gemacht habe. Ich erwarte das von jungen Reportern, dass die mit Gluteifer rangehen und versuchen, das, was eben noch verantwortbar ist, zu beschaffen. Wichtig ist, dass es dann Redaktionen gibt, die das vor Veröffentlichung bewerten.
Das Interview führte Stefan Domke.