Richter Ottmar Breidling geht in Pension
Der Herr der Terrorismus-Prozesse hört auf
Stand: 29.03.2012, 00:00 Uhr
"Kalif von Köln", "Kofferbomber", "Sauerland-Gruppe" - kein anderer Richter hat in Deutschland mehr Terrorismus-Verfahren geführt: Ottmar Breidling, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf, geht am Freitag (30.03.2012) in Pension.
Von Dominik Reinle
"Es galt bei vielen Dingen durchaus der Satz: Da kocht der Chef selber", sagt Ottmar Breidling. Er leitete mehr als eineinhalb Jahrzehnte den sechsten Strafsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts, der für die sogenannten Terrorismus-Verfahren zuständig ist. "Meine Arbeitszeit war keine 40-, keine 45- und keine 50-Stunden-Woche." Er habe an vielen Wochenenden zumindest einen Tag im Gericht verbracht, um überhaupt den Umfang der Akten bearbeiten zu können. "Wir haben ja nichts aus der hohlen Hand gemacht", so der 65-jährige Richter.
Seine akribische Arbeitsweise führte regelmäßig zu Verurteilungen. Im Herbst 2000 musste der als "Kalif von Köln" bekannt gewordene Islamistenführer Metin Kaplan ins Gefängnis. 2005 und 2007 folgten Mitglieder der Terrorvereinigungen Al-Qaida und Al-Tawhid. 2008 kam einer der beiden "Kofferbomber" von Köln lebenslang hinter Gitter. Im März 2010 folgten die vier Mitglieder der islamistischen "Sauerland-Gruppe", die mehrjährige Haftstrafen erhielten. Zuvor war Breidling bereits an Prozessen gegen linksgerichteten Terrorismus beteiligt - etwa gegen die "Rote Armee Fraktion", die "Antiimperialistischen Zellen" und die PKK. Während seines Berufsleben war er fast 30 Jahre lang mit dem Thema Terror beschäftigt.
"Das Schicksal hatte eine günstigere Idee"
Breidling wollte nach dem Jurastudium zunächst Anwalt werden. Doch es kam anders. Er begann 1976 beim Landgericht Düsseldorf seine Laufbahn als Richter. "Da hat das Schicksal eine günstigere Idee gehabt, als ich mir vielleicht selber gedacht hatte." Dann wechselte der gebürtige Bremer als Strafrichter ins rheinische Neuss, wo er aufgewachsen war.
Zwei Mal wurde er ins Bundesjustizministerium abgeordnet, wo er insgesamt über fünf Jahre lang unter anderem an Gesetzesentwürfen mitgearbeitet hat - so etwa an der Reform des Terrorismus-Paragrafen 129 und einer Neufassung der Kronzeugen-Regelung. 1987 ging Breidling als Richter ans Düsseldorfer Oberlandesgericht, wechselte dann an das Oberlandesgericht Brandenburg, bis er schließlich 1996 den "Terrorismus-Senat" in Düsseldorf übernahm.
"Bei Verstößen habe ich streng reagiert"
"Richter Tacheles" in Aktion
Dort machte sich Breidling rasch einen Namen als "Richter Tacheles", wie er oftmals in den Medien charakterisiert wurde. Breidling, dessen Verhandlungsführung von manchen als autoritär kritisiert wurde, sprach Klartext: "Dies ist keine Moschee, sondern ein deutscher Gerichtssaal", schleuderte er etwa den Anhängern des Islamistenführers Kaplan entgegen, die den "Kalifen von Köln" lautstark feierten. Minuten später saßen zwei der Störer in einer Zelle. Breidling hatte gegen sie eine zweitägige Ordnungshaft verhängt.
"Wenn sich jemand in der Sitzung nicht an die Spielregeln gehalten hat, habe ich immer streng reagiert", sagt Breidling. "Die Strafprozessordnung ist nicht verhandelbar." Sein gesetzlicher Auftrag sei es gewesen, ihr Geltung zu verschaffen. "Mir war wichtig, dass die Rollenverteilung klar ist." Gleichzeitig postuliert der bekennende Katholik: "Nächstenliebe ist im Sitzungssaal nicht verboten." Man müsse den Angeklagten "manchmal auch eine Brücke bauen". Denn es gehe nicht darum, sie niederzumachen oder zu entwürdigen, sondern ihnen zu sagen: "Das ist unsere Leitlinie, und jetzt gucken wir mal, ob Sie sich daran halten können, ohne dabei Ihr Gesicht zu verlieren."
Urteile mit politischen Kommentaren kombiniert
So pragmatisch gab sich Breidling beispielsweise im Sauerland-Verfahren. Für einen Angeklagten, der sich nur für Gott, aber nicht im Gerichtssaal erheben wollte, hieß die Lösung: "Dann kommen Sie eben erst rein, wenn wir alle sitzen." Mit ähnlichen Maßnahmen baute der Richter zu den anderen Angeklagten ebenfalls eine Art Vertrauensverhältnis auf. So ließ er ausnahmsweise ein überwachtes Telefonat zwischen zwei Beschuldigten zu. Die Taktik ging auf: Alle legten Geständnisse ab.
Breidling drückte aber nicht nur den Verhandlungen selbst seinen Stempel auf. Er wollte darüber hinaus auch eine öffentliche Wirkung erzielen und darauf hinweisen, wie sich der Terrorismus aus seiner Sicht effektiver bekämpfen ließe. Die Vorworte zu seinen Urteilen enthielten deshalb regelmäßig justizpolitische Botschaften an die Verantwortlichen in Politik und Behörden. Breidling kritisierte etwa, dass die Wohnraum-Überwachung zu kompliziert geregelt sei und ihr deswegen die "Schlagkraft" fehle. Auch zeigte er wenig Verständnis für Vorbehalte gegen die Videoüberwachung öffentlicher Plätze. Oder er rügte, die Beschuldigten hätten wegen ausländerrechtlicher Verstöße "frühzeitig abgeschoben werden müssen". Solche Äußerungen brachten ihm den Ruf eines Hardliners ein.
Keine Verfahrensfehler nachgewiesen
Prozessgebäude des Düsseldorfer Oberlandesgerichts
Vorbild für seine Grundeinstellung, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, sei unter anderem sein Patenonkel gewesen. "Er galt im 'Dritten Reich' als der 'Juden-Anwalt' von Andernach und wurde im 'Stürmer' wegen seiner Vertretung jüdischer Mandanten angefeindet", so Breidling. "Beeindruckt hat mich seine Standfestigkeit." Diese Haltung habe ihn ermutigt, Dinge zu sagen, bei denen ihm der Wind ins Gesicht geblasen habe: "Zu sagen, wir machen das so - auch wenn andere das kritisieren."
Am Ende seiner Richter-Karriere, die ihm unter anderem auch eine Morddrohung und Personenschutz beschert hat, fühlt sich Breidling in seinem Vorgehen bestätigt: "Die verfahrensrechtlichen Wege, die wir bei der Terrorbekämpfung gegangen sind, hatten alle Bestand." Trotz dieser Bilanz ist Breidling negativ "berührt", dass der Bundesgerichtshof einmal einen Verurteilten im Nachhinein vom Terroristen zum Terrorhelfer herabgestuft hatte. Doch auch in Bezug auf sich selbst bleibt der Herr der Düsseldorfer Terrorismus-Prozesse seinem Motto treu: "So sind die Spielregeln, auch das muss man sportiv sehen."
"Nicht von 200 Prozent auf null"
Breidling, der lange Feldhockey und Tennis gespielt hat und inzwischen zum Golf gewechselt ist, will zwar in seinem Ruhestand wieder mehr Sport treiben. Weiter verstärken werde er aber auch seine Fortbildungsveranstaltungen, die er bisher schon bundesweit für Richter und Staatsanwälte durchführt: "Ich will nicht von 200 Prozent auf null runter fahren."