Dreifachmord von Overath im Jahr 2003
Rechtsextreme Tat oder nicht?
Stand: 27.03.2013, 11:30 Uhr
NRW-Innenminister Jäger hat erstmals eine Statistik vorgelegt, die alle Straftaten von Rechtsextremisten aufführen soll. Doch mit einem "Altfall" tut er sich schwer: Obwohl 2003 ein Rechtsextremist in Overath drei Menschen ermordet hat, gilt das Delikt offiziell nicht als politisch.
Von Dominik Reinle
"Straftaten von Rechtsextremisten müssen auch als Straftaten von Rechtsextremisten benannt werden", sagte NRW-Innenminister Ralf Jäger Ende Dezember 2011, als er sein Acht-Punkte-Programm gegen den Rechtsextremismus vorstellte. "Alle Straftaten sollen in der Polizeilichen Kriminalstatistik ausgewiesen werden", so der Minister damals. Das gelte für eine Volksverhetzung gleichermaßen wie für einen Ladendiebstahl. Auch sogenannte Altfälle sollten auf ihre korrekte Einstufung hin überprüft werden.
Die angekündigte neue Auswertung der Kriminalstatistik für das Jahr 2012 stellte Jäger nun am Dienstag (26.03.2013) vor. In seiner Rede lobte er "die erfolgreiche Arbeit unserer Polizei". Der Kampf gegen Rechtsextremismus sei eine Daueraufgabe, so Jäger. "Wir brauchen einen langen Atem. Aber wir werden nirgendwo nachlassen."
Tat mit SS-Runen am Hemdkragen
Nicht erwähnt hat Jäger bei dieser Gelegenheit allerdings einen Altfall, dessen Eingruppierung in die Statistik seit Jahren strittig ist: den Dreifachmord von Overath, der im Oktober 2003 von einem Ex-Söldner mit SS-Runen am Hemdkragen begangen wurde. Der bekennende Rechtsextremist erschoss mit einer Pumpgun einen Anwalt, dessen Ehefrau und dessen Tochter. Der ermordete Anwalt hatte vor Jahren in einem Mietprozess gegen den Mann erfolgreich die Gegenseite vertreten. Das Landgericht Köln verurteilte den geständigen Täter Thomas A. im Dezember 2004 zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Die Richter bescheinigten dem Mörder auch eine besondere Schwere der Schuld.
Im Urteil heißt es, der Mann habe sich bei der Tat gedanklich in die Position eines von ihm erdachten Sturmbannführers versetzt, "dessen Pflicht es sei, gemäß den fortgeltenden Reichsgesetzen und Führerbefehlen" Staatsfeinde wie den Overather Anwalt zu töten. Das Kölner Landgericht bescheinigte Thomas A., dass "seine nationalsozialistischen Vorstellungen" ihm bei der Tötung "ein Handeln mit Härte, Entschlossenheit und ungerührtem Vollstreckerwillen" ermöglicht hatten. Es bestehe die Gefahr, dass der Angeklagte aufgrund seiner nationalsozialistischen Ideen "unter bestimmten politischen Voraussetzungen die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes erneut" aufnehmen könnte.
Habgier als Tatmotiv?
Trotzdem wird der Fall vom Landeskriminalamt NRW nicht als rechts motivierte Tat eingestuft. Diese Einschätzung teilt auch das NRW-Innenministerium: Im März 2011 antwortete es auf eine Große Anfrage der Linksfraktion im Landtag, "die Tat als solche" erfülle nicht die Kriterien der bundesweit geltenden Definition "Politisch motivierter Kriminalität" (PKM). Das Ministerium stellte den Raub von rund 70 Euro während des Dreifachmords ins Zentrum seiner Bewertung. Es sei laut Gerichtsurteil bei den Morden unter anderem um Habgier gegangen.
Auch als nach der Selbstenttarnung der Zwickauer Terrorzelle im November 2011 die sogenannten Altfälle überprüft werden, bleiben Landeskriminalamt und Innenministerium bei ihrer Einschätzung - bis heute. Grundlage für diese Entscheidung seien die bundesweit gültigen Kriterien für die statistische Erfassung politisch motivierter Kriminalität, sagte Ministeriumssprecher Ludger Harmeier am Dienstag zu WDR.de: "Wir sind darüber nicht glücklich und sind offen für andere Kriterien, die allerdings von der Innenministerkonferenz der Länder beschlossen werden müssten." Die Landesregierung habe nie in Frage gestellt, dass der Täter nationalsozialistischem Gedankengut nahe gestanden habe.
Einstufung nach "verständiger Betrachtung"
Betrachtet man allerdings die erwähnten Kriterien, stellt sich die Lage nicht so eindeutig dar. Das NRW-Innenministerium selbst hatte die Bedingungen für die statistische Erfassung von politisch motivierten Straftaten in seiner Antwort auf die Große Anfrage der Linksfraktion im März 2011 beschrieben: Es müssten dafür "in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung" einer "rechten" Orientierung zuzurechnen seien. Kann man nicht sogar nach dieser Definition zur Ansicht kommen, dass es sich beim Overather Dreifachmord um eine rechts motivierte Straftat gehandelt hat?
"Exemplarisch und gerichtlich bestätigt"
Der Rechtsextremismus-Experte Frank Jansen vom Berliner "Tagesspiegel" kommt jedenfalls zu einem anderen Schluss als das NRW-Innenministerium: "Es ist vollkommen unverständlich, dass ausgerechnet dieser Fall in Nordrhein-Westfalen nicht als rechts motiviertes Tötungsverbrechen eingestuft wird." Jansen führte im Gespräch mit WDR.de am Mittwoch (27.03.2013) zwei Gründe an: "Der Dreifachmord erfüllt eindeutig die Kriterien der Definition 'Politisch motivierte Kriminalität', die von den Innenministern im Jahr 2001 eingeführt wurden. Der Täter handelte aus nationalsozialistischem Hass auf den Anwalt und die Bundesrepublik." Zudem habe das Landgericht Köln in seinem Urteil von 2004 dem Täter ausdrücklich eine rechtsextremistische Motivation bei dem Mord an dem Anwalt und dessen Familie bescheinigt. "Dazu finden sich in dem schriftlichen Urteil, das mir vorliegt, gleich mehrere Passagen."
Dass der Täter auch einen kleineren Geldbetrag geraubt habe, stelle das rechtsextreme Motiv bei dem Dreifachmord keinesfalls infrage, so Jansen: "Warum Nordrhein-Westfalen ausgerechnet diesen Fall, der exemplarisch und gerichtlich bestätigt ein rechts motiviertes Tötungsverbrechen darstellt, immer noch als unpolitisch wertet, ist für mich unbegreiflich - erst recht, da Innenminister Ralf Jäger sich darum bemüht, das ganze Ausmaß rechter Kriminalität zu erfassen."
152 Todesopfer rechter Gewalt - oder "nur" 63?
Seit der Wiedervereinigung sind in Deutschland nach Recherchen des "Tagesspiegels" und zwei weiteren Zeitungen 152 Menschen von rechts motivierten Tätern getötet worden. Die Polizeibehörden der Länder melden hingegen "lediglich" 63 Tote. Die Journalisten haben für ihre Auflistung seit dem Jahr 2000 Gerichtsurteile gesichtet sowie mit Staatsanwälten, Polizeibehörden, Nebenklage-Anwälten und Hinterbliebenen von Todesopfern gesprochen. So unter anderem auch im Fall von Overath.
Für die Differenz bei den Opferzahlen macht Jansen die Behörden verantwortlich. Bei der Polizei werde bundesweit immer wieder die Definition 'Politisch motivierte Kriminalität' nicht beachtet. "Außerdem wird auch von Gerichten und Staatsanwälten manchmal das politische Motiv eines rechtsextremen Täters nicht ausreichend gewürdigt."