Interview mit Paul-Spiegel-Preisträgerin
Neonazi-Szene in NRW "bundesweit Vorbild"
Stand: 17.06.2015, 19:21 Uhr
Die Journalistin Andrea Röpke recherchiert seit vielen Jahren in der rechten Szene. Für sie sei erschreckend, wie sich die Szene in NRW entwickelt habe. Am Mittwoch (17.06.2015) wurde sie für ihre Zivilcourage mit dem diesjährigen Paul-Spiegel-Preis in Düsseldorf ausgezeichnet.
WDR.de: Frau Röpke, Sie waren kürzlich als Expertin im NSU-Untersuchungsausschuss des NRW-Landtages eingeladen. Was haben Sie den Abgeordneten erzählt?
Andrea Röpke: Meine Aufgabe war es, über militante Neonazi-Netzwerke wie "Blood and Honour" und "Combat 18" aufzuklären. Auch gefährliche Organisationen wie die "Nationalistische Front" in Westfalen und das Dortmunder Umfeld der Band "Oidoxie" spielten eine Rolle, immerhin reichen deren Seilschaften auch nach Hessen. Und die zeitnahen Morde 2006 in Dortmund und Kassel könnten mit diesen Verbindungen zusammenhängen. Auffällig ist, dass es in den Orten der mutmaßlichen NSU-Morde jeweils sehr militante Neonazi-Strukturen gab, die ebenfalls der Ideologie des rassistischen Terrors anhingen und ähnliche Ziele verfolgten.
WDR.de: Wie haben die Abgeordneten darauf reagiert?
Röpke: Das Interesse schien groß. Es gab mehrere Nachfrage-Runden, bei denen intensiv nachgehakt wurde. Ich war positiv überrascht.
Andrea Röpke
Die freie Journalistin und Diplom-Politologin Andrea Röpke publiziert seit Anfang der 1990er Jahre über Rechtsextremismus. Dazu gehören unter anderem Bücher wie "Frauen in der Neonazi-Szene" und "Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland". Von der Branchen-Zeitschrift "Medium Magazin" ist Röpke 2006 als "Reporterin des Jahres" sowie als politische Journalistin des Jahres 2011 ausgezeichnet worden. Das Bündnis für Demokratie und Toleranz hat sie im vergangenen Jahr als "Botschafterin für Demokratie und Toleranz" geehrt.
WDR.de: Wie hat sich die rechte Szene in NRW in den letzten Jahren entwickelt?
Röpke: Erschreckend. Die Neonazi-Szene in NRW ist ein Beispiel dafür, dass der Fehler gemacht wurde, zu sehr in die neuen Bundesländer zu schauen und entspannt zu beobachten, wie sich dort gewaltbereite Strukturen entwickelt haben. Währenddessen entwickelte sich in NRW aus einem ohnehin schon starken Milieu unter Führung einiger neuer junger Vordenker eine neue, sehr professionelle "Bewegung" mit Schwerpunkt in Dortmund. Verbote konnte deren äußerst aggressiven und dynamischen Strukturen bisher nur wenig anhaben.
Am letzten Wochenende war ich zum Beispiel beim "Eichsfeldtag" in Thüringen, wo Neonazis seit fünf Jahren ein Fest für die ganze Familie mit Rechtsrock anbieten - inklusive Hüpfburgen. Dort spielten "Kraftschlag" und "Lunikoff" ihre absolut fremdenfeindlichen Songs auch vor Kindern. Eine Woche zuvor filmten wir einen Aufmarsch in Neuruppin in Brandenburg. Und jedes Mal spielten Dortmunder Neonazis eine wichtige Rolle. Die wollen ihr Modell bundesweit exportieren.
WDR.de: Wie sieht dieses Modell aus?
Röpke: Zum einem zeigen sie, dass die Szene sich nicht von Verboten wie dem des "Nationalen Widerstandes Dortmund" oder anderer Gruppierungen einschüchtern lassen darf, sondern ganz dynamisch zum Beispiel unter dem legalen Deckmantel der Partei "Die Rechte" weitermachen kann. Zum anderen verschafft man sich lokale Zentren, indem man sich gemeinsam ansiedelt und Dominanz ausübt. Diese Strategie greift eben nicht nur in ostdeutschen Dörfern, sondern zum Beispiel auch in den Wohnblocks in Dortmund-Dorstfeld. Zudem zeigen die NRW-Strategen auf, dass unterschiedliche Gruppen und Parteien durchaus gemeinsame Ziele verfolgen – dazu zählen die Abschaffung der Demokratie sowie die Einrichtung einer homogenen elitären "Volksgemeinschaft".
Das Modell ist leider erfolgreich: In NRW gelingt es der Szene, aufgrund ihrer offen gezeigten Militanz attraktiv auf Jugendliche zu wirken und sich in der Region auszubreiten. Gleichzeitig wird die Szene intern stabilisiert und geschult. Es wird ein "Bewegungsgefühl" entwickelt, in das alle eingebunden werden sollen – auch ganze Familien.
WDR.de: Gibt es noch andere Gruppen in NRW, die einflussreich sind?
"Der Dortmunder Stadtrat Dennis Giemsch gehört zu den Anführern."
Röpke: Dazu gehören die "Aktionsbüros", die sich zurzeit vor dem Landgericht Koblenz verantworten müssen. Auch diverse "Kameradschaften" spielen eine Rolle. Die Holocaust-Leugner-Szene um Ursula Haverbeck hat ihren Arbeitsschwerpunkt von Westfalen nach Thüringen verschoben. Aber es gibt noch aktive völkische Kreise, Überbleibsel der 2009 verbotenen "Heimattreuen Deutschen Jugend". Den zurzeit wohl wichtigsten Überbau der Szene in der Region stellt die Neonazi-Partei "Die Rechte" dar. Sie wird maßgeblich von Anführern der verbotenen Strukturen in NRW gelenkt. Dazu gehören Dennis Giemsch, der im Dortmunder Stadtrat sitzt, und Alexander Deptolla, einer der ehemaligen Vordenker der militanten "Autonomen Nationalisten".
WDR.de: Welche Bedeutung hat NRW für die rechte Szene in Deutschland?
Röpke: Die Neonazi-Szene in NRW gilt momentan als Vorbild in der bundesweiten Szene. Besonders auffällig dabei ist die ausgeprägte Gewaltbereitschaft. Nach Angaben des NRW-Innenministeriums wurden im letzten Jahr 179 Gewaltdelikte mit rechtem Hintergrund registriert. Es gab demnach auch 17 Verstöße gegen das Waffengesetz. Dass die gewaltbereite "HoGeSa"-Bewegung - "Hooligans gegen Salafisten" - in Köln startete, war sicher kein Zufall.
WDR.de: Was kann man dagegen tun?
Röpke: Das Engagement gegen Rechts darf nicht einzelnen Menschen aufgebürdet werden, die für die Gesellschaft den Kopf hinhalten. Es braucht eine beherzte, breite Aufklärung und den Mut, sich frühzeitig zu vernetzen und den Neonazis Grenzen aufzuzeigen. Es geht darum, ein Milieu zu schaffen, indem sich alle, vor allem auch die Minderheiten wohlfühlen, sodass sich Neonazis wirklich zurückziehen. Das tun sie - und zwar dort, wo nicht zu lange abgewartet und weggeschaut wird. Dafür gibt es gute Beispiele wie in Westfalen, wo den Holocaust-Leugnern schließlich ein Zentrum entzogen wurde. Auch im Bereich Hamm-Unna scheint sich die Szene nach entsprechendem Gegenwind etwas zurückgezogen zu haben. Wir müssen hinschauen und gemeinsam etwas unternehmen.
WDR.de: Über Ihre Arbeit sagen Sie, dass Sie teilweise einen "Zweifrontenkrieg" führen. Was meinen Sie damit?
Röpke: Fachjournalisten, die wie wir über Jahre hinweg über diese Szene berichten, sind einerseits den Angriffen, Anfeindungen und Einschüchterungsversuchen der Neonazis ausgesetzt. Andererseits haben wir massiv damit zu tun, dass die Sicherheitsbehörden uns bei rechten Demonstrationen oder Neonazi-Festen auf Privatgelände als Störenfriede betrachten. Wir bekommen bei der Arbeit von beiden Seiten Probleme. Dabei ist es gerade unsere Aufgabe auf Kindeswohlgefährdung oder NS-Ideologie bei Brauchtumsfesten im Verborgenen hinzuweisen, genauer gesagt: hinter die Kulissen zu schauen, dorthin wo die Neonazis uns nicht haben wollen. Das ist oft unangenehm.
In Thüringen beim "Eichsfeldfest" wollten die Behörden zum Beispiel kurzzeitig das Fotografieren untersagen, weil die Neonazis sich belästigt fühlten. De facto scheint es immer weniger Bereitschaft der Polizei zu geben, uns Fachleute, die unerwünscht sind, vor Ort zu schützen. Das habe ich selbst hautnah vor zwei Wochen erlebt, als meine Kollegen und ich massiv von Neonazis angegangen wurden, unter anderem auch von Dortmunder Aktivisten. Während sich einer vermummte und mir in die Kamera schlug, stand keinen Meter daneben eine ganze Gruppe Polizisten, die wegschaute. Nach den Aufmärschen der "Hooligans gegen Salafisten" in Köln und Hannover sowie den bundesweiten Demonstrationen der "Pegida"-Bewegung hat eine erschreckend starke Enthemmung bei den Teilnehmern eingesetzt. Medienvertreter werden noch massiver als ohnehin schon angegangen.
WDR.de: Was bedeutet Ihnen unter diesen Arbeitsbedingungen der Paul-Spiegel-Preis?
Röpke: Ich freue mich darüber sehr. Er ist ein besonderer Preis und eine Anerkennung nicht nur für meine Arbeit, sondern die Arbeit von uns unabhängigen Fachjournalisten, die sich seit Jahren mit dem Thema Neonazis beschäftigen. Es ist nicht immer einfach, aber wir wollen uns ja nicht auf die Pressemitteilungen der Polizei beschränken oder nur die Aussagen der Verfassungsschutzbehörden verbreiten. Wir wollen eigene Recherchen anstellen, wir wollen über die wahren Ziele und Hintergründe dieser gefährlichen Szene berichten und nicht nur über deren öffentlichen Inszenierungen. Unsere Aufgabe ist es, rechtzeitig vor der Militanz zu warnen. Die Verbrechen des NSU sollten uns Warnung sein.
Das Interview führte Dominik Reinle.